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Bistum Magdeburg

Die Wunden sind noch nicht geheilt

Fest der Jugend (1)

Markus Heine stellt den Bischöfen das Kreuz vorMarienborn (dw) - Mit so heftigem Widerspruch hatten die katholischen Jugendlichen aus der Pfarrgemeinde St. Clemens im niederrheinischen Viersen-Süchteln nicht gerechnet. Mit ihrer mitternächtlichen Kreuzwegandacht an der ehemaligen DDR-Grenzkontrollstelle Marienborn wollte die Gruppe am 3. Oktober Zeichen der Versöhnung und Hoffnung setzen, Hoffnung auf baldige Heilung der Wunden, die durch Grenze und Todesstreifen gerissen wurden.

Gleichaltrige der Landesvereinigung kulturelle Jugendbildung Sachsen-Anhalt fühlten sich jedoch provoziert von der ihrer Ansicht nach viel zu negativen Darstellung der DDR-Vergangenheit, die sie selbst mit vorwiegend positiven Kindheitserinnerungen verknüpfen. Bei den Opfern der Grenze handele es sich doch nur um Einzelschicksale, hielten sie den Viersener Jugendlichen aufgebracht entgegen. Früher gab es die Stasi, heute würde man im Betrieb gemobbt, früher gab es Tote an der Mauer, heute sei man arbeitslos. "Wie kommt ihr als Westdeutsche überhaupt dazu, euch zur DDR-Geschichte zu äußern, und warum mischt sich die Kirche in die Politik ein?", fragten einige.

"Unser Konzept ist aufgegangen. Gerade das war unser Anliegen: Jugendliche ganz unterschiedlicher Weltanschauungen und politischer Ausrichtung miteinander ins Gespräch zu bringen", sagte Dr. Joachim Scherrieble, der Leiter der Gedenkstätte Deutsche Teilung Marienborn, der das Fest der Jugend gemeinsam mit Vertretern ost- und westdeutscher Sportverbände, Musikschulen und Kirchen initiiert hatte.

Kritischer beurteilte Matthias Spenn, Landesjugendpfarrer der Kirchenprovinz Sachsen, die Qualität der Diskussion, die sich bis in die Morgenstunden erstreckte: Es habe an Toleranz gemangelt, und über weite Strecken hätten die Gesprächsparteien aneinander vorbeigeredet, sagte er bei einer abschließenden Auswertung vor Journalisten. Dennoch sei es wichtig, dass das Gespräch begonnen habe. Die Auseinandersetzung habe deutlich gemacht, dass die entstandenen Risse zwischen Menschen in Ost und West weit über das selbst Erlebte hinausreichten. Er hält es für außerordentlich wichtig, dass sich Kirche in diesen Gesprächsprozess einbringt. "Religiöse Sprache fängt gerade dort an, wo wir sprachlos sind und an unsere Grenzen stoßen", sagte er.

Während eines ökumenischen Bittgottesdienstes zum Abschluss des Festes wies auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner darauf hin, dass Gottesdienste einen festen und berechtigten Platz beim Gedenken an die Einheit hätten. "Wir sollten nicht vergessen, dass die Friedensgebete der Ausgangspunkt waren für die Demos 1989", betonte er. Ein Raum der Stille und Besinnung, den evangelische und katholische Bischöfe aus Hildesheim, Braunschweig, Magdeburg und Dessau am Ende des Gottesdienstes einweihten, steht in dieser Tradition. Das so genannte "Einheitskreuz" des 22-jährigen Vierseners Markus Heines, das die katholische Jugendgruppe und ihr damaliger Vikar Elmar Nass in der Karwoche vergangenen Jahres als Gastgeschenk mit nach Marienborn gebracht hatten, fand hier seinen festen Platz. Der Längsbalken des Kreuzes, den Markus Heines gemeinsam mit seinem Vater in der heimischen Tischlerwerkstatt angefertigt hatte, ist gespalten, wächst aber von unten zusammen - Zeichen für die heranreifende Einheit.

Der 22-Jährige verknüpfte die Vorstellung seines Werkes mit einem Appell an diejenigen Politiker, "die vor zehn Jahren noch die Einheit bekämpft haben" und heute "große Reden schwingen": "Lassen Sie den Grundgedanken des Kreuzes in Ihre Politik einfließen."

Christen verschiedener Konfessionen aus Ost und West, die sich in einer "Arbeitsgemeinschaft Bittgottesdienst 3. Oktober" zusammengeschlossen haben, stellten während der Feier die "Marienborner Erklärung" vor und baten die Anwesenden, sie zu Hause, in der Gemeinde und im Freundeskreis zu diskutieren. "Alle Christen im vereinten Deutschland sollten ihr eigenes Verhältnis zur Teilung und zum jeweils anderen Teil reflektieren", sagte ein Sprecher der Arbeitsgemeinschaft.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 42 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.10.2000

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