... am 20. Oktober 1957
Damals...
Texte zu Allerheiligen finden sich in den frühen Ausgaben des Tag des Herrn wenige. 1957 schrieb Hans Sauerland folgenden Text, der an dieser Stelle auszugsweise wiedergegeben wird:
Wenn man das Wort "Allerheiligen" ausspricht, so bleibt alles leer und kühl, da schwingen keine Glocken mit, höchstens streift einmal ein flüchtiger Gedanke die ferne Welt des Wunders und der Gottesliebe, darin die Heiligen sich bewegten. Ist das in Ordnung so?
Ich will nicht übertreiben; ich weiß, viele Menschen sind mit der Heiligenlegende groß geworden. Viel ringende Jugend sucht im Aufblick zu den Heiligen Kraft in den Kämpfen der Reifezeit; ich sehe vieltausende Statuen des heiligen Antonius ... von Blumen liebevoller Verehrung umrankt - dennoch muss ich sagen, daß die große Masse ... die lebendige, frohe Herzensgemeinschaft mit den großen Gestalten der katholischen Vergangenheit verloren hat. Nur noch in einem Schattenwinkel der Seele fristen sie ihr Dasein, nur in verzweifelten Fällen taucht ihr Andenken aus der Vergessenheit auf. Dann sollen sie eilig die Vierzehn Nothelfer spielen. Ist das nicht eher eine Karikatur von Heiligenverehrung?
Schade dass die Heiligenlegende alten Schlages fast nichts von den Heiligen geschildert hat als ihr Beten und Predigen, so daß es aussieht, als hätten sie ihr ganzes Leben in einer Weihrauchwolke geschwebt. Dabei steht fest, dass auch die Heiligen Menschen waren wie wir selbst, schwache, ringende Menschen. Gewiss, manche von ihnen haben im Kloster gelebt, die allermeisten aber, und zwar gerade diejenigen, deren Namen kein Heiligenkalender nennt und die doch das Antlitz Gottes schauen, haben mitten in der Welt gestanden. Diese alle drückten sich nicht vor der täglichen Arbeit. Oft ist es ihnen schwer gefallen, Gott treu zu bleiben. Ihr Weg in den Himmel ist kein steiles Aufwärts, sondern ein steiniger, kurvenreicher Weg hinab und hinauf. Wir sind so leicht mit der Ausflucht zur Hand: Ja, die Heiligen konnten heilig werden, sie sind eben von Gott hochbegnadet. In Wirklichkeit ist es umgekehrt: Nicht deshalb konnten diese Männer und Frauen heilig werden, weil ihnen die Gnade half, sondern die Gnade half ihnen, weil sie mit ganzer Kraft um ein heiliges Leben kämpften. So betrachtet, gibt es viel tausendmal mehr Heilige als die Kirche gefeiert hat. So betrachtet, gibt es auch Heilige unter uns. Mancher von uns hat eine heilige Mutter, und er weiß es nicht. Mancher verehrt irgendeinen bedeutenden Menschen der Vergangenheit und hat kein Auge dafür, dass neben ihm ein Kamerad im Alltagsrock mehr beweist als solche Berühmtheiten ...
Wenn du Tag um Tag treulich deine Pflicht tust, auch wenn du mitunter fluchen und davonlaufen möchtest, wenn du dich ehrlich bemühst, ein guter Mensch zu werden und zu bleiben, wenn du Gott nicht auf der Zunge, aber tief im Herzen trägst und um seinetwillen auch die Menschen deines Lebenskreises, besonders deine Familie ehrst - siehe, dann bist du schon auf dem Wege der Heiligkeit, auch wenn du niemals von der Kirche der ganzen Welt als Heiliger vorgestellt wirst. Das Heiligwerden ist also gar nicht so übermenschlich schwer ... Es gehört dazu weder die Flucht aus der Welt, weder ein niedergeschlagenes Auge, im Gegenteil: Gott wird uns um so mehr segnen, je treuer und tapferer wir ihm mitten im Lärm der Fabrik und in der Stille der Familie dienen. Andere Zeiten, andere Heilige - auf die Form kommt es nicht an, sondern auf den Geist, der uns beseelt und uns zu Freunden Gottes macht.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.10.2000