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Aus der Region

Nicht immer Ja und Amen sagen

Gerhard Schöne

Ob Clubhaus, Kirche oder Kinderzimmer: Gerhard-Schöne-Songs kommen an. Auch zehn Jahre nach der Wende begeistert der schon zu DDR-Zeiten bekannte Liedermacher sein Publikum. Neuerdings veröffentlicht zudem seine Mutter Rile eigene Lieder und Gebete. Der Tag des Herrn sprach mit dem aus Coswig bei Dresden stammenden Pfarrerssohn.

Frage: Herr Schöne, Sie haben erstmals gemeinsam mit Ihrer Mutter ein Buch herausgegeben. Wie entstand die Idee, etwas zusammen zu machen?

Schöne: Der Vorschlag kam von meiner Mutter. Sie war früher damit beschäftigt, mich und meine fünf Geschwister zu versorgen, aber auch in ihr hat die Muse geschlummert. Erst im Alter hat sie richtig dafür Zeit gefunden - das heißt, bei meinen ersten Liedchen hat sie mir auch schon geholfen, mit nach Reimen gesucht und mir Tipps gegeben. Vor gut zehn Jahren hat sie sich dann ein Keyboard angeschafft und angefangen, Gedichte zu schreiben.

Frage: Wann entstanden die Texte für das gemeinsame Buch?

Schöne: Von mir sind Lieder hineingekommen, die ich zwischen 1980 und 1995 verfasst habe, außerdem zwei Texte aus dem vorigen Jahr. Die Beiträge meiner Mutter sind alle neueren Datums.

Frage: War es auch Ihre Mutter, die Sie religiös geprägt hat?

Schöne: Eigentlich waren es beide Eltern: mein Vater durch seine Predigten und Tischgebete, meine Mutter durch das gemeinsame Beten am Abend. Das sind so die frühen Kindheitserinnerungen, dass meine Mutter am Bett saß und "Breite aus die Flügel beide" oder "Müde bin ich, geh zur Ruh" mit mir sprach. Es waren nie frei formulierte Gebete, sondern feste, gereimte.

Frage: Setzen Sie diese Tradition bei Ihren Kindern fort?

Schöne: Bei meiner Tochter habe ich das mal angefangen. Wir haben gemeinsam "Der Mond ist aufgegangen" gesungen. Das klingt am Schluss ja fast wie ein Gebet. Als sie größer wurde, haben wir immer öfter ein bisschen Spaß dabei gemacht. Dann endete das manchmal in Gekichere, was ja auch nicht verkehrt ist.

Frage: Sie haben jetzt einen kleinen Sohn. Wollen Sie später mit ihm beten?

Schöne: Ja, das haben wir uns fest vorgenommen. Er ist erst dreieinhalb Monate alt. Da beten wir wohl für ihn, aber noch nicht gemeinsam.

Frage: In dem neuen Buch heißt es: "Auch wenn nicht alles so läuft, wie ich es mir wünsche, weiß ich doch: Du willst es so." Das Abendlied schließt mit den Worten "Dein Wille mir geschehe an jedem neuen Tag und dass ich mit dir gehe, was auch geschehen mag." Sind diese Sätze Ausdruck Ihres Gottvertrauens?

Schöne: Die beiden Texte stammen zwar von meiner Mutter, aber so ein Urvertrauen, dass ich nie so tief fallen kann, dass ich nicht doch von Gott aufgefangen werde, besitze ich schon. Zum Beispiel habe ich das Gefühl, dass ich mal im Straßenverkehr mein Leben beenden werde. Richtig Angst habe ich aber eigentlich nie davor.

Frage: Zu DDR-Zeiten haben Sie viele politische Lieder geschrieben. Im gemeinsamen Buch dominieren Glaubensthemen. Planen Sie den Rückzug in die religiöse Nische?

Schöne: Die Texte sind zum Teil auch politisch, ich will das nicht trennen. Genau dieselben Stücke, die ich zum Beispiel beim ,Festival des politischen Liedes' gesungen habe, habe ich auch in Kirchen vorgetragen. Ich finde überhaupt, dass ein religiöser Mensch sich nicht in eine Nische zurückziehen sollte. Mir ist wichtig, ein politischer und kritischer Christ zu sein, kein "frommer Lämmerschwanz", der nur Ja und Amen sagt.

Frage: Auf der CD zum Buch ist auch das "Lied für den Feind" zu hören. Es stammt aus der Zeit des Kalten Krieges und ruft die verfeindeten Parteien zu gegenseitigem Verständnis auf. Halten Sie diesen Appell heute noch für zeitgemäß?

Schöne: Das Lied kann man nach wie vor singen. Jetzt besteht zwar nicht mehr die Ost-West-Problematik, aber wie schnell waren im Golfkrieg oder in Jugoslawien Freund-Feind-Schemen zurechtgebastelt.

Frage: Gibt es auch Lieder, die Sie zehn Jahre nach der Wende nicht mehr vortragen würden?

Schöne: Ja, da hab ich eines über einen Jungen, der in der Schule total angepasst redet, aber sich in anderen Situationen völlig anders verhält. So was würde ich nicht mehr singen, weil das zur jetzigen Zeit überhaupt keinen Bezug hat. Das sind aber wenige Lieder, die man nur auf die DDR festnageln kann. Ich fand es schon damals provinziell, immer nur seine eigenen Problemchen zu besingen. Ich möchte, dass man meine Lieder auch in Italien oder Frankreich oder sonst irgendwo auf der Welt hören kann und etwas Gutes daran findet. DDR-bezogene Lieder habe ich nur geschrieben, wenn ich etwas fast nicht mehr aushaltbar fand, zum Beispiel die dauernde Bevormundung. Dafür habe ich dann Metaphern gesucht. "Ich bin den Kinderschuhen entwachsen" hieß ein Lied. Es beschreibt, wie ich von meinem Vater in einem Laufstall gehalten werde und wie er mir das vorgekaute Essen einlöffelt. Da hat jeder gleich gemerkt: Das ist ein Bild für die DDR.

Frage: Haben sich Ihre Lieder durch die Wende verändert?

Schöne: Das Einzige, was anders geworden ist, dass ich es nicht mehr nötig habe, politische Gedanken durch die Blume zu sagen. Aber das sah ich auch früher nicht nur als notwendiges Übel. Manchmal war es durchaus eine Herausforderung und hat Spaß gemacht, ein Bild für einen Zustand zu finden. Auch jetzt verwende ich in meinen Liedern kein Zeitungsdeutsch, sondern erzähle eine Geschichte, weil das einfach sinnlicher ist.

Frage: Wie hat sich Ihr Publikum im zurückliegenden Jahrzehnt verändert?

Schöne: Ich merke, ehrlich gesagt, gar keinen so großen Unterschied. Anders als bei etlichen meiner Kollegen war mein Publikum schon zu DDR-Zeiten vom Alter und von den Schichten her sehr breit gestreut. Ich glaube, dass ich vor allem durch meine Kinderlieder auch die Eltern- und Großelterngeneration angesprochen habe. Da ich im Fernsehen in Unterhaltungssendungen auftrat, hatten die Leute keine Scheu, zu einem Liedermacher zu gehen. Sie dachten sich: "Der hat das Lied von der Jule geschrieben, das wird bestimmt ein ulkiger Abend." Ich konnte den Leuten dann trotzdem etwas erzählen, was sie vielleicht gar nicht erwartet hatten, meinetwegen ein frommes Lied.

Frage: Bei dem gemeinsamen Büchlein handelt es sich um ein ,Geschenkbuch für Kinder im Grundschulalter'. So steht es zumindest auf dem Einband. Überfordern Ihre Texte Kinder nicht manchmal?

Schöne: Na ja, da kämpfen auch immer zwei Seelen in meiner Brust. Ich finde es eigentlich nicht schlecht, wenn man die Latte ein bisschen höher legt und sich Kindern nicht nur in einer kindertümelnden Sprache anbiedert. Kinder haben durchaus ein Gespür für Lyrik. Wenn ich ein Kinderprogramm zusammenstelle, sind da schon Stellen drin, an denen Kinder bestimmt ein bisschen überfordert werden. Aber wenn mir Kinder manchmal erzählen, was sie von mir gehört haben oder was ihr Lieblingsstück ist, dann ist das nicht unbedingt eines meiner Kinderlieder.

Frage: Haben Sie selbst ein Lieblingslied unter Ihren Songs?

Schöne: Ja, das ist eines, das ich nur nachgedichtet habe. Es stammt von der chilenischen Dichterin Violeta Parra und heißt "Gracias a la vida" - "Liebes Leben danke". Dieses Lied ist eigentlich wie ein Gebet, eine Art Liebeserklärung an das Leben. Die Verfasserin war zwar kein religiöser Mensch, aber sie hat sich beim Leben bedankt, für ihre Augen, ihre Stimme, die Ohren, die Füße, das Herz, die Freude und das Leiden - und das, obwohl sie ein sehr schweres Leben hatte: Eines ihrer Kinder ist früh gestorben und sie selbst hat sich am Schluss sogar das Leben genommen.

Frage: Welches Lied, das Sie getextet haben, mögen Sie besonders?

Schöne: Unter den neueren gibt es eines. Es besteht aus Mutter-Kind-Gesprächen. Beispielsweise fragt eine kleine Sardine ihre Mutter, ob es wirklich den großen Ozean gibt, in dem die Haifische und Wale schwimmen. Da sagt die Mutter: "Du schwimmst doch schon drin. Weißt du das denn gar nicht?" Da sagt die kleine Sardine: "Ach, Quatsch. Das ist doch nur Wasser und auch noch salzig dazu." Dann fragt eine kleine Biene ihre Mutter, ob es denn wirklich den Himmel gibt, von dem die Adler und Zugvögel erzählen. Die Mutter sagt: "Du fliegst doch schon drin." Schließlich fragt ein Kind seine Mutter, ob es Gott gibt, um den sich alle so streiten. Da antwortet die Mutter: "Er umhüllt dich und möchte in dir wohnen." Und das Kind sagt: "Ich lass ihn rein."

Frage: Das neue Buch enthält viele Gebete. Überschrieben ist es mit den Worten "Wenn das Herz mir überläuft ...". Soll das heißen, dass Sie nur beten, wenn Ihr Herz gerade voll ist?

Schöne: Ich bete entweder still oder am Tisch mit meiner Frau zusammen. Der Buchtitel ist eine Zeile aus dem Lied "Tagebuch": Wenn du 15 bist und dir das Herz fast überläuft, aber keiner scheint es zu sehen, dann brauchst du eben das Tagebuch. Mir hat mal ein Satz von Ernesto Cardenal sehr gut gefallen. Im "Buch von der Liebe" schreibt er: "Auch eine Zigarette rauchen kann ein Gebet sein." Es gibt eben ganz unterschiedliche Formen des Betens. Jeder Zustand, wo ich denke, schön, dass ich diesen Augenblick erlebe, ist eigentlich eine Art Gebet, selbst wenn ich nicht immer "Gott" oder "Herr Jesus" sage.

Interview: K. Hammermaier

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 44 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.10.2000

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