Der Kirchen-Nomade von Tisedi
Weihbischof Gerhard Feige
An der Wand seines Arbeitszimmers hängt das Bild einer kargen Wüstenlandschaft. Die Ödnis dieser algerischen Landschaft steht im krassen Kontrast zur gedrängten Fülle in seinem Terminkalender und zu dem Papierwust, den er nach zahlreichen Konferenzen nach Magdeburg schleppen muss.
"Das ist mein Titularbistum Tisedi", sagt der Magdeburger Weihbischof Gerhard Feige schmunzelnd, als sein Blick auf das Bild hinter seinem Schreibtisch fällt. Nachdem der Professor für Alte Kirchengeschichte und Ostkirchenkunde herausgefunden hatte, dass das untergegangene Bistum Tisedi in der Nähe von Hippo lag, der Wirkungsstätte des heiligen Augustinus, brachte seine Nichte ihm das Foto von einer Nordafrika-Reise mit. Das Einzige, was Gerhard Feige in seinem neuen Amt mit den Bewohnern der nordafrikanischen Wüste zu verbinden scheint, ist sein wenig sesshafter Lebensstil. Das ständige Unterwegssein, die Arbeit in Eisenbahnabteilen und auf Autorücksitzen, gehört zu den Begleiterscheinungen seines Amtes, an die er sich während seines ersten Bischofsjahres erst einmal gewöhnen musste.
In vielerlei Hinsicht war der Amtsantritt für den 48-Jährigen ein Sprung in unbekanntes Gewässer: "Schließlich habe ich Bischof sein nicht gelernt". Wann er während eines Gottesdienstes die Mitra auf- oder abzusetzen hat, gehörte noch zu den einfachsten Herausforderungen. Dergleichen konnte er im "Zeremoniale" nachlesen, einer Art Liturgie-Knigge für Bischöfe. Komplizierter war da schon das bischöfliche Zeitmanagement, zumal Bischof Leo Nowak mehrere Monate lang wegen Krankheit ausfiel und er deshalb eine Reihe anderer zusätzlicher Verpflichtungen übernehmen musste. "Ich habe eingesehen, dass ich manchmal eher ,nein' sagen sollte", konstatiert Feige.
Ein gänzlich neues Terrain waren für ihn auch die Verwaltungsaufgaben im Bischöflichen Ordinariat, mit denen er reichlich eingedeckt wurde: Er leitet die Hauptabteilung Personal und in besonderer Weise die Unterabteilung für pastorales Personal (Priester, Diakone, Gemeindereferenten) und die Referate für Priesteramtskandidaten, Ständige Diakone, Orden sowie Fort- und Weiterbildung. Bei aller Freude darüber, von Anfang an in die Verantwortung für das Bistum eingebunden zu sein: Diese Funktionen verbinden sich mit mancher Konferenz auf Bistums-, Ostdeutschlands- und Bundesebene. In den ersten Wochen blieb dem Weihbischof, der in Erfurt in einer Professoren-Wohngemeinschaft gelebt hatte, nicht einmal Zeit zum Einkaufen und Wäsche waschen.
Nicht nur der neue Weihbischof, auch die Magdeburger Diözesanen hatten Anlaufschwierigkeiten. Seitdem Theodor Hubrich 1988 Apostolischer Administrator in Schwerin wurde, hatte es in Magdeburg keinen Weihbischof mehr gegeben. Zu einer eigenen Sekretärin kam Gerhard Feige beispielsweise erst fünf Monate nach Amtsantritt, sein endgültiges Dienstzimmer hat er vor einigen Tagen bezogen. "Früher hatten wir einen Bischof, der keine Zeit hatte, jetzt haben wir zwei Bischöfe, die keine Zeit haben", flachste ein Pfarrer kürzlich. Neben den Firmreisen, Gemeindejubiläen, Wallfahrten, Konferenzen und Vorträgen, die den gebürtigen Hallenser durch das ganze Bistum führen, verlangt auch die Mitarbeit in der Deutschen Bischofskonferenz eine ausgiebige Reiseaktivität. Feige arbeitet in den Kommissionen für Ökumene und Weltkirche mit und in der Renovabis-Unterkommission. Darüber hinaus bleibt er Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen und in der gemeinsamen Kommission der katholischen Kirche mit der griechisch-orthodoxen Metropolie in Deutschland - Aufgaben, die er als Erfurter Professor übernommen hatte. Dem Dialog mit den orthodoxen Christen gilt nach wie vor seine besondere Liebe, und das keinesfalls nur, weil er sich als Vollbartträger so harmonisch in die Reihen seiner orthodoxen Amtsbrüder einreiht. Mit den Vertretern der griechischen Metropolie wurden zum Beispiel - vor allem im Blick auf konfessionsverbindende Familien - praktische Handreichungen über die Sakramentenspendung erarbeitet. Wichtiger als die Ausarbeitung von Papieren scheint ihm in der Ökumene aber, dass das Gespräch lebendig bleibt.
Im Laufe seines ersten Dienstjahres hat er wohl fast alle Freuden und Leiden kennengelernt, die zum Leben eines Magdeburger Weihbischofs gehören. Sogar seine Wirkung auf Kinder ist ihm nicht mehr fremd, seitdem er bei einer Wallfahrt beobachtete, wie ein Junge seinen Freund am Ärmel zupfte und ihm zuraunte: "Guck mal, der Nikolaus!" Nach dem Einführungsgottesdienst für die Claretiner-Gemeinschaft in Mühlberg, den Gerhard Feige leitete, sagte ein Kind dem Pfarrer: "Am besten hat mir der Zauberer mit seinem Zauberstab gefallen."
In diesem zurückliegenden Jahr hat er immer wieder festgestellt, dass der Umgang mit begrenzten Zeit- und Kraftressourcen nicht nur für ihn selbst, sondern für alle pastoralen Mitarbeiter im Bistum Magdeburg ein Thema ist. Die Bistumsleitung rechnet damit, dass in zehn Jahren nur noch 80 aktive Priester zur Verfügung stehen, etwa halb so viele wie heute im Dienst sind. Seit der Wende hält der Wegzug jüngerer Leute in fast allen Gemeinden an. Gerhard Feige nimmt diese Situation sehr nüchtern zur Kenntnis, versucht aber gleichzeitig auch, sich an der Suche nach neuen Wegen für die Zukunft zu beteiligen. Dieses Zusammenspiel aus Sich-nichts-Vormachen und Hoffen findet sich auch in seinem Wahlspruch "Wachet und betet", den er sich für seine Bischofsweihe ausgesucht hat. Seinen auf Realismus gestützten Optimismus knüpft er nicht zuletzt an das "Pastorale Zukunftsgespräch", das gegenwärtig im Magdeburger Bistum angestoßen wird. Eine entscheidende Frage in diesem Zukunftsgespräch, das unter möglichst breiter Beteiligung stattfinden soll, lautet für ihn: "Welche Aufgaben sind für uns Christen hier künftig wesentlich und erfüllbar?" Im Vergleich zur Pastoralsynode in der DDR von 1973 bis 1975 vermisst er derzeit allerdings die Aufbruchstimmung: "Damals lag das einfach in der Luft".
Die Zukunft der Ortskirche entscheidet sich zu einem beträchtlichen Anteil im Kontakt mit der nichtchristlichen Umwelt, glaubt Gerhard Feige. In diesem Bewusstsein nimmt er auch manche repräsentative Aufgaben wahr, zum Beispiel Gespräche mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, oder auch Grundstein-Segnungen und die im Vergleich zu früher erheblich umfangreicheren Medienkontakte. Ausgiebig Zeit genommen hat er sich beispielsweise, um den Prominenten-Fragebogen der Magdeburger Lokalzeitung so auszufüllen, dass darin "möglichst ein wenig von der menschlichen Seite der Kirche durchscheint". Unter anderem verriet er den Lesern, was er für seine größte Schwäche hält: die selbe Eigenschaft nämlich, die er auch als größte Stärke sieht, seine Genauigkeit.
Weihbischof Gerhard Feige, Dr. theol., Professor
geboren in Halle am 19. November 1951
zum Priester geweiht am 1. April 1978 in Magdeburg
zum Titularbischof von Tisedi und Weihbischof in Magdeburg
ernannt am 19. Juli 1999
konsekriert am 11. September 1999
Dorothee Wanzek
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 29.10.2000