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Auf zwei Minuten

Schwäche zulassen

Pater Damian

Pater Damian MeyerWir alle sind es gewohnt, uns im Leben, besonders im Berufsleben, zusammenzunehmen, uns "am Riemen zu reißen". Wir können uns nicht erlauben, jederzeit und jedem gegenüber unsere Schwächen und unsere Stimmung zu zeigen. Es gäbe noch mehr Unfrieden, noch mehr Missverständnisse und Verletzungen in unserem täglichen Zusammenleben, wenn wir uns einfach hemmungslos gehen ließen.

Und doch spüren wir: Wir können auf die Dauer nicht nur Rollen spielen und nur unsere glatten und schönen Seiten zeigen. Es würde uns überfordern und krank machen. Und wir wären unehrlich und würden uns selbst etwas vormachen. Wir brauchen alle Freunde, Partner, in deren Gegenwart wir uns so geben können, wie wir wirklich sind, mit all unseren Schwächen: "Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein." Machen nicht Schwächen Menschen oft so liebenswert? Der bekannte amerikanische Psychologe Carl R. Rogers hat dazu interessante Beobachtungen gemacht: "In meinen Beziehungen zu Menschen habe ich herausgefunden, dass es auf lange Sicht nicht hilft, so zu tun, als wäre ich jemand, der ich nicht bin. Es hilft nicht, ruhig und freundlich zu tun, wenn ich eigentlich ärgerlich bin und Bedenken habe. Es ist nicht hilfreich, so zu tun, als wüsste ich Antworten, wenn ich sie nicht weiß. Es hilft nicht, den liebevollen Menschen zu spielen, wenn ich im Augenblick eigentlich feindlich gestimmt bin. Es hilft nicht, so zu tun, als wäre ich voller Sicherheit, wenn ich eigentlich ängstlich und unsicher bin. Es hilft nicht, so zu tun, als sei ich gesund, wenn ich mich krank fühle. Es ist für mich einfacher, mich als einen unvollkommenen Menschen zu akzeptieren, der keinesfalls zu jeder Zeit so handelt, wie er handeln möchte. Manchen mag diese Entwicklung befremdlich erscheinen, mir ist sie wertvoll. Denn: "Wenn ich mich akzeptiere, wie ich bin, dann ändere ich mich."

"Wenn ich mich akzeptiere, wie ich bin, dann ändere ich mich": Man muss seinen realen "Ist-Zustand" annehmen, um sich um seinen "Soll-Stand" bemühen zu können. Da darf man sich nichts vormachen. Der hl. Paulus ist ein gutes Beispiel für einen Menschen, der seine Schwächen annimmt. . Er spricht von einem "Stachel im Fleisch", den er zu ertragen hat. Vielleicht war das eine Krankheit oder eine Behinderung, die ihm viel zu schaffen machte. "Was mich selbst angeht, will ich mich nicht rühmen, höchstens meiner Schwachheit" (vgl. 2 Kor 12). Und das Tröstliche für Paulus und für uns alle: Wir sind nicht allein gelassen mit unseren Schwächen. Unsere Schwachheit ist der Ansatzpunkt der Gnade Gottes: "Meine Gnade genügt dir; denn sie erweist ihre Kraft in der Schwachheit"(2 Kor 12,9).

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 05.11.2000

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