Chancen und Schwierigeiten der Pfarrgemeinderatsvorsitzenden
Dingelstädt
Dingelstädt - Möglichst viele Menschen am Leben der Gemeinde zu beteiligen, das ist für Barbara Kirchberg nicht zuletzt auch wegen ihres Amtes als Pfarrgemeinderatsvorsitzende Anliegen und Verpflichtung. Die 46-jährige Verwaltungsangestellte, Mutter eines Sohnes und engagierte Christin möchte, dass sich viele aktiv an den Angeboten der Pfarrei beteiligen und auch selbst Verantwortung übernehmen. Doch "es sind immer die selben, die in der Gemeinde etwas mittun", sagt sie und spricht damit aus, was viele ihrer Kolleginnen und Kollegen bestätigen werden. Frau Kirchberg will sich damit jedoch nicht abfinden. "Schließlich profitiert man selbst davon und macht die gute Erfahrung, einer Gemeinschaft von Menschen anzugehören, in der es um mehr als Geld und Ansehen geht", sagt sie.
Der Tag des Herrn sprach mit Frau Kirchberg über Gründe, warum Christen dem Gemeindeleben fern bleiben, und über Ansatzpunkte, wie Menschen deutlich gemacht werden kann, dass an Gott zu glauben und einer christlichen Gemeinde anzugehören eine gute Sache ist.
Frage: Wie erleben sie ihren Dienst als Pfarrgemeinderatsmitglied?
Frau Kirchberg: Wir sind eine Gemeinde, in der es - nicht zuletzt dank des Engagements unserer Hauptamtlichen - eine ganze Menge an Aktivitäten gibt: verschiedene Angebote für alle Kinder und Jugendlichen parallel zum schulischen Religionsunterricht, Erstkommunion- und Firmvorbereitung, in die erwachsene Gemeindemitglieder einbezogen sind, in der Advents- und Fastenzeit wöchentliche Besinnungsabende ... Unsere Erfahrung ist allerdings: Es ist ein bestimmter Kreis von Leuten, die sich immer beteiligen. Viele andere kommen nur sporadisch und halten sich aus allem heraus. Nicht wenige Gemeindeglieder wollen angesprochen werden, dann sind sie bereit, eine Aufgabe zu übernehmen. Doch bei einer Pfarrei mit rund 4000 Gläubigen ist das gar nicht so einfach. Wichtig ist es dennoch.
Frage: Heute wird viel gefragt: Was bringt mir das? Haben Gemeindemitglieder, die weg bleiben, das Gefühl, dass ihnen das Mittun in der Gemeinde nichts bringt?
Frau Kirchberg: Ich weiß es nicht, ich bin da unsicher. Wir alle sind heute mit sehr vielen Dingen beschäftigt. Vieles stürmt auf uns ein. Mit Sicherheit kämpfen viele um ihr tägliches Brot, müssen Überstunden machen, große Wege auf sich nehmen, um einen Beruf ausüben zu können. Folge: Die Leute sparen Kräfte, wo sie nichts Böses zu erwarten haben, etwa, in dem sie nicht zum Sonntagsgottesdienst gehen, sondern den Sonntagmorgen zum Ausschlafen und gemütlich Frühstücken nutzen. Und außerdem: So lange im Leben alles einigermaßen glatt läuft, wird Gott nicht gebraucht, ist Beten nicht so wichtig. So jedenfalls leben viele. Zudem spielt wohl auch die Bequemlichkeit eine Rolle, dass sich Leute wenig in der Gemeinde sehen lassen.
Frage: Warum engagieren Sie sich? Was bringt Ihnen Ihr Einsatz persönlich?
Frau Kirchberg: Jeder sucht letztlich Geborgenheit und innere Zufriedenheit. Ich finde dies in der Gemeinde und ich hole mir im Gottesdienst Kraft für mein Leben. Gott kommt so zu mir, könnte man vielleicht sagen. Für mich ist gerade in unserer heutigen Situation das Gefühl wichtig, zu einer Gemeinschaft zu gehören, die nicht auf Materielles ausgerichtet ist. Die diesjährige Faschingsfeier von Erwachsenen und Jugendlichen in unserer Gemeinde war so eine tolle Erfahrung der Gemeinschaft von Jung und Alt, für die es sich einzusetzen lohnt. Außerdem lernt man viele Menschen kennen, was ich gut finde. All das hilft mir, mein Leben zu bestehen. Vielleicht sollte man sich das öfter bewusst machen, wieviel einem dieses Mittun selbst bringt. Von daher verstehe ich nicht, warum sich so mancher solche guten Erfahrungen entgehen lässt und die zugegebener Maßen wenige freie Zeit nicht dafür einsetzt.
Frage: Es gibt ja viele Angebote. Vielleicht machen die Menschen anderswo Erfahrungen des Geborgenseins, des ungezwungenen Miteinanders...
Frau Kirchberg: Das ist schwer zu beurteilen. Man weiß nicht, was in den Menschen vorgeht. Manches scheint wie eine ständige Jagd nach Spaß zu sein. Im Übrigen habe ich den Eindruck, wer sich in der Pfarrgemeinde engagiert, ist nicht selten auch in der Politik oder in Vereinen und Verbänden aktiv. Viele Jugendliche allerdings zieht es mehr zur Disko als zum Gottesdienst oder Jugendtreff in der Pfarrei.
Frage: Liegt das Desinteresse vieler gegenüber kirchlichen Angeboten vielleicht daran, dass sie mit Gott nichts mehr anfangen können?
Frau Kirchberg: Das glaube ich nicht. Ich sehe eher eine Unzufriedenheit mit der Organisation Kirche. Manches ist für einen Laien ja auch schwer verständlich. Auch Katholiken fragen: Warum können wir nicht endlich mit den Evangelischen zusammen Messe feiern. Und dies obwohl oder vielleicht auch gerade weil bei uns in Dingelstädt schon einiges ökumenisch läuft. Der gemeinsame Gang zum Friedhof am Allerseelentag, der ökumenische Wortgottesdienst am Neujahrstag, das jährliche Treffen des Pfarrgemeinderates mit den evangelischen Kirchenältesten. Andererseits gibt es bei manchen Leuten ein ziemliches Anspruchsdenken: Wenn etwa eine Silberhochzeit ansteht, wird zuerst geklärt: Wo feiern wir, wen laden wir ein, was darf es kosten? Wenn dies alles fest steht, dann wird zum Pfarrer gegangen und vorausgesetzt, dass er an dem gewünschten Termin eigens einen Gottesdienst hält. Egal, wie viele Gottesdienste er an dem Tag schon hat. Und das sind durch die Zuständigkeit für mehrere Pfarreien und wegen der vielen Jahrgangsämter (Klassentreffen) oder Familienfeiern gerade an den Samstagen oft nicht wenige. Auf Taufe, Erstkommunion, kirchliche Tauung verzichten die Leute nicht. Das machen ja schließlich alle so und ist für die Gestaltung des Festes wichtig. Und begraben will auch niemand ohne den lieben Gott sein, jedenfalls bei uns im Eichsfeld.
Frage: Aber in der Gemeinde eine Aufgabe übernehmen wollen sie nicht ...
Frau Kirchberg: Viele schrecken wohl auch unbewusst oder bewusst davor zurück, feste regelmäßige Verpflichtungen einzugehen. Hier liegt ein Hauptproblem ehrenamtlichen Engagements.
Frage: Nochmal zu den Jugendlichen. Sie sagen, die gehen lieber zur Disko als zu Gemeindeangeboten?
Frau Kirchberg: Ich denke, da liegt viel auch an den Eltern und deren Vorbild. Wenn ich erlebe, dass Kinder, die zur Erstkommunion gehen sollen, am Sonntag mit dem Auto vor der Kirche abgesetzt werden und die Mütter oder Väter wieder nach Hause fahren, wundert es mich nicht, wenn die Kinder keinen richtigen Draht zur Kirche finden. Die Eltern sind gefordert, mit ihren Kindern als Christen zu leben und so Vorbild zu sein. Das ist wichtig, damit junge Leute - selbst wenn sie vielleicht im Alter zwischen 15 und 30 Jahren wenig Interesse für die Kirche zeigen, später an gute Erinnerungen hinsichtlich des Glaubens anküpfen können. Schließlich hilft der Glaube gerade in späteren Jahren, das Leben zu bewältigen. Aber es liegt natürlich auch daran, ob Gottesdienste so gestaltet sind, dass sich Jugendliche angesprochen fühlen, etwa hinsichtlich jugendgemäßer Lieder. Eine andere Chance sind zum Beispiel die auch von Gemeindemitgliedern mitgestalteten Firmvorbereitungsgruppen, wenn die Erwachsenen den jungen Leuten deutlich machen, was ihnen ganz persönlich der Glaube bedeutet. Wichtig ist aber auch, dass Junge wie Ältere, die nicht regelmäßig zum Gottesdienst kommen, über die Medien von den unterschiedlichsten Angeboten in der Gemeinde erfahren. Hier ist mehr Mut nötig, in die Öffentlichkeit zu gehen.
Eckhard Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 05.11.2000