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Aus der Region

Das Ende der Gemütlichkeit

Tagung: Wirtschaft, Staat und Gesellschaft vor der Herausforderung der Globalisierung

Bad Kösen (ep) -"Globalisierung -das Ende der Gemütlichkeit." So war am vergangenen Wochenende eine Tagung in der Caritas-Heimvolkshochschule Bad Kösen überschrieben, die sich mit dem Phänomen der Globalisierung als Herausforderung für Wirtschaft, Staat und Gesellschaft befasste. Die damit verbundenen Befürchtungen vieler Menschen konnten die Referenten nur begrenzt ausräumen. Denn die großen Firmen, Banken und Versicherungen agieren längst weltweit, ihre Aktivitäten sind bisher aber kaum in humanisierende Rahmenbedingungen eingebettet -das wurde deutlich.

Tenor der von den Diözesanakademien Dresden-Meißen, Magdeburg und Erfurt veranstalteten Tagung: Globalisierung geschieht seit 2500 Jahren, hat jedoch seit zehn Jahren enorm an Fahrt gewonnen. Gründe sind fallende Handelsschranken, elektronische Vernetzung, Zusammenbruch des Sozialismus, wirtschaftlicher Aufholprozess in Asien. Es sei kontraproduktiv, sich der Globalisierung entgegenzustellen, zumal viele davon profitieren würden. Dies müsse jedoch durch Rahmenbedingungen gesichert werden, hieß es.

Professor Rüdiger Pohl vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle verwies auf die Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrt, betonte aber zugleich die Notwendigkeit, die Globalisierung zu "gestalten". Problemfelder seien soziale Sicherung, gerechte Ausbildungschancen, Kinderarbeit in manchen Ländern, die Einhaltung von Umweltstandards. Institutionen, die dies im Blick hätten, seien Einrichtungen der Vereinten Nationen, die Welthandelsorganisation (WTO), aber auch Nichtregierungsorganisationen (NGO). Demokratisch legitimierte internationale Organisationen gebe es nicht. Wie aber weltweit Beteiligungsgerechtigkeit, also die Chance für Menschen, ihr Einkommen unter menschenwürdigen Bedingungen selbst zu erarbeiten, wenigstens ein Stück Realität werden könnte, ließ er offen. Pohls Fazit: "Globalisierung ist das Ende der Gemütlichkeit. Wir sind nicht mehr Herren unserer Institutionen", etwa unseres Sozialsystems, das "hochgradig gefährdet ist", sondern müssen sie anpassen. Auch der Vorstandsvorsitzende der Mitteldeutschen Energieversorgung (MEAG), Norbert Wenner, zeigte Vorteile der Globalisierung auf. Wenn die MEAG in Tschechien die Gaswirtschaft aufbaue, so bedeute dies Know how und Arbeitsplätze für Tschiechen und zugleich bessere Konkurrenzfähigkeit der MEAG, die sich etwa in den niedrigeren Preisen niederschlage. Ohne Investitionen ausländischer Firmen sei in Ostdeutschland ein Aufschwung unmöglich, so Wenner weiter. Angesichts ihrer Macht hätten die Unternehmen große Verantwortung. Zugleich müssten sie aber auch durch Anreize motiviert werden, etwas für das Allgemeinwohl zu tun.

Ein Beispiel für die Problematik länderübergreifender Arbeitsmärkte brachte ein Teilnehmer: Seine Nichte wollte sich beim Erdbeerpflücken Geld verdienen -zwei Mark pro Körbchen werde gezahlt, hieß es auf ihre Nachfrage. Als sie einen Tag später beginnen wollte, war ihr Einsatz nicht mehr gefragt: Polnische junge Leute hatten die Arbeit für 50 Pfennige übernommen.

Ortrud Gauper von Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin, aber auch MEAG-Chef Wenner sprachen sich für die Einführung von Mindestlöhnen aus, was letztlich der Kaufkraft im eigenen Land diene. Die sozialen Bedingungen in Deutschland seien trotz unakzeptabel hoher Arbeitslosigkeit besser als etwa in den angelsächsischen Ländern, so Frau Gauper. Der DGB sei kein Gegner der Globalisierung. Schlüsselfrage sei neben sozialer Grundsicherung die Aus- und Weiterbildung, die zu fördern Staat und Unternehmen gefordert seien. Frau Gauper verlangte weltweite Mindestrechte für alle. Eine Globalisierung der Gewerkschaften sei wegen unterschiedlicher Mentalitäten und Interessen schwierig. So könnten etwa die Interessen polnischer Bauarbeitergewerkschaften andere sein als die ihrer deutschen Kollegen. Dennoch gebe es keine Alternative zu weltweit agierenden Gewerkschaften.

Mit den Ereignissen vom 11. September 2001 sind die globalen Probleme deutlich hervorgetreten, so Prämonstratenserpater und Wirtschaftsethiker Clemens Dölken aus Magdeburg. Ursache sei, dass sich viele Menschen gerade der arabischen Welt arm und würdelos fühlten. Niemand dürfe durch die Globalisierung schlechter, viele müssten besser gestellt werden. Nötig seien etwa eine Sozialversicherung für alle und der Abbau von Handelsschranken für Landwirtschaftsprodukte. Große Unternehmen müssten an ihr Interesse erinnert werden, Absatzmärkte mit kaufwilligen Kunden vorzufinden.

Als Mitglied der Bundestags-Enquetekommission für Globalisierungsfragen sieht der Magdeburger Wirtschaftswissenschaftler Karl-Heinz Paqué trotz aller Probleme durchaus Chancen, viele an den Vorteilen der Globalisierung zu beteiligen. Dafür forderte er die Schaffung einer Kartell-Behörde auf Weltebene, die beispielsweise Monopolbildungen und Preisabsprachen großer Firmen überwachen sollte.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 3 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 18.01.2002

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