Burjan-Platz soll zum sozialen Einsatz anregen
Görltz
Görlitz (kh) - Einander kreuzende Wege, teils mit braunem, teils mit silbergrauem Sand und Steinplatten bedeckt, dunkle Erde auf schräg abfallenden Bodenflächen, im Zentrum eine Halbkugel aus hell schimmerndem Metall, daneben auf Glas das Porträt einer jungen Frau, umrahmt von den Worten: "Wir wollen nicht fragen, ob wir zuständig sind. Wir wollen fragen, was kann ich für diesen Menschen tun". Seit kurzem zieht der Hildegard-Burjan-Platz zwischen Ponte- und Brunnenstraße die neugierigen Blicke der Görlitzer auf sich. Vor rund 80 Gästen spendete Bischof Rudolf Müller am 24. Oktober, den kirchlichen Segen für die neu gestaltete Anlage.
Zehn Mitglieder des Hildegard-Burjan-Komitees waren extra zur Einweihung aus Wien, dem hauptsächlichen Wirkungsort der Sozialpolitikerin, in ihre Geburtsstadt Görlitz gereist, darunter Schwester Serafine Ogrisek, Generalleiterin der von Burjan gegründeten Gemeinschaft "Caritas Socialis" (CS). Zwei CS-Schwestern leben seit gut anderthalb Jahren in Görlitz.
Hildegard Burjan habe im sozialen Bereich vieles vorweg genommen, "was erst sehr viel später im modernen Sozialstaat zur Selbstverständlichkeit geworden ist", unterstrich Müller. Beispielsweise erinnerte er an die von ihr ins Leben gerufenen Weiterbildungskurse und Arbeitsvermittlungsstellen sowie an die Müttererholungsheime und die Wöchnerinnenhilfe, für die sich die aus einem jüdischen Elternhaus stammende Katholikin einsetzte. Die Kirche, betonte Müller, sehe in Burjan "mehr als eine im politisch-sozialen Bereich ihrer Zeit hoch engagierte Frau". Ihre "tiefe, fromme Liebe" zu Gott sei das eigentliche Motiv ihres Einsatzes für die Mitmenschen gewesen.
Auch Oberbürgermeister Rolf Karbaum (SPD) würdigte das Engagement der Arbeiterinnen-Führerin: "Ich wünsche mir, dass das Lebenswerk Hildegard Burjans Vorbild und Ansporn für die Menschen in unserer Stadt ist, ihre Zeit und ihre Kraft für das Gemeinwohl einzusetzen", sagte Karbaum bei der Einweihung.
Mit großer Mehrheit hätten sich die Görlitzer Stadtverordneten Anfang 1991 dafür ausgesprochen, den damaligen "Platz der Solidarität" in "Hildegard-Burjan-Platz" umzubenennen. Die Planungen für die Neugestaltung seien im April 1999 aufgenommen worden. Im März dieses Jahres habe das bischöfliche Ordinariat eine positive Stellungnahme zum Entwurf von Landschaftsarchitektin Hendrikje Becker abgegeben. Die ungewöhlich erscheinende Gestaltung mit sich kreuzenden Wegen und schiefen Ebenen sei durchaus passend, heißt es in dem Schreiben, da Hildegard Burjan ebenfalls außergewöhnliche Wege gewählt habe.
Bischof Müller wünschte den in Görlitz tätigen Schwestern der "Caritas Socialis", nach der Umgestaltung des Hildegard-Burjan-Platzes nun wirklich in Görlitz "zu Hause" sein könnten. Beide haben sich nach eigenen Worten bereits gut in der Neißestadt eingelebt und spüren, dass sie dort "angenommen" werden. Besonders die Zusamenarbeit mit der Stadt und den Institutionen funktioniere einwandfrei, freut sich Schwester Mechthild Schlemitz. Dennoch stoßen die Österreicherinnen immer wieder auf Schwierigkeiten, können Ideen manchmal nicht sofort umsetzen. Schwester Rita Geiser war es zum Beispiel aus Österreich gewohnt, Altenheimbewohner einfach auf ihren Zimmern besuchen zu können, ohne vorher zu fragen. In Görlitz hätte sie gerne mehr Kontakt zu den Pflegekräften, da diese manchmal vermuteten, sie komme nur, um zu missionieren.
Schwester Mechthild wollte im vergangenen Jahr an Silvester ein Friedensgebet in einem Stadtpark veranstalten - ähnlich wie es seit Jahrzehnten in ihrer Heimatpfarrei Brauch ist. Bei den Görlitzer Kirchenvertretern konnte die CS-Schwester ihr Vorhaben nicht durchsetzen. Dennoch gibt sie sich optimistisch: "Ich hoffe, dass ich's doch irgendwann einmal hinkriege." Auch würde sie die Heilig-Kreuz-Kirche gerne einen Vormittag lang für Besucher öffnen, da sie beobachtet habe, dass viele Menschen zu dem Gotteshaus kämen, aber eine verschlossene Tür vorfänden. Momentan bemüht sich Schwester Mechthild, Gleichgesinnte zu gewinnen, die bereit sind, eine Stunde in der Kirche zu verweilen. Damit will sie das Argument entkräften, es könne im Gotteshaus etwas gestohlen oder Unfug getrieben werden. In Österreich, meint Schwester Mechthild, sei die Kirchenpraxis "offener und freier" - zwei Adjektive, die auch auf den neu gestalteten Hildegard-Burjan-Platz zutreffen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 05.11.2000