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Aus der Region

Über die Ökumenische Versammling in der DDR

Glaube und Politik

Nie zuvor hatte es eine derartige ökumenische Gemeinsamkeit unter den 19 Kirchen und kirchliche Gemeinschaften in der DDR gegeben. Zum Abschluss der Ökumenischen Versammlung im April 1989 in Dresden verabschiedeten sie Texte mit Sprengkraft: Forderungen nach Meinungs- und Reisefreiheit, Rechtssicherheit, Reform des Wahlrechts, freie Gewissensentscheidung beim Wehrdienst, außerdem Verpflichtungen zur Bewahrung der Schöpfung, zum besseren Umgang mit Ausländern, Behinderten und Sterbenden. Mehr als 10 000 Eingaben von Christen aus allen Teilen der DDR wurden in die Dokumente eingearbeitet. Ein nie dagewesener demokratischen Akt.

Ängstlich hatte der Staat versucht, die Versammlung in eine andere Richtung zu lenken oder totzuschweigen. Druck auf Kirchenleitungen und Delegierte, Stasi-Spitzel in den Gremien, Einschränkung der Medien-Berichterstattung. Vergebens. Der Druck bewirkte das Gegenteil: Selbst der umstrittenste Text - "Mehr Gerechtigkeit in der DDR" - fand die Zweidrittel-Mehrheit. Das Staatssekretariat für Kirchenfragen musste eingestehen: "Die Berührungsängste zwischen den Kirchen sind überwunden. Damit ist das erste Mal seit der Reformation kein theologischer, aber politischer Konsens erreicht worden."

Wie war das Ende der 80er Jahre in der DDR möglich? Dieser Frage geht Katharina Seifert in ihrem Buch "Glaube und Politik" nach, anhand von Berichten Beteiligter und teilweise unveröffentlichten Akten. Auch auf die Aussagen von Zeitzeugen kann sie sich stützen. Veröffentlicht hatte sie diese bereits 1999 in "Durch Umkehr zur Wende" (Benno-Verlag).

Die Ökumenische Versammlung ist für sie das seltene Beispiel eines geschichtlichen Moments "erfüllter Zeit". Sie stellt den Prozess dar, der dahin führte. Er beginnt 1934 mit Bonhoeffers Appell für ein Konzil der Kirchen, reicht über den Antrag des Bundes der Evangelischen Kirchen der DDR auf der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) 1983 in Vancouver und Carl Friedrich von Weizsäckers Aufruf zu einem "Konzil des Friedens" auf dem Evangelischen Kirchentag 1985 und endet beim Dresdner Stadtökumenekreis, der 1988 die weltweit erste regionale Versammlung dieser Art initiiert und damit den Konziliaren Prozess in Bewegung bringt.

Das Buch beschreibt ein wichtiges Kapitel politischer Theologie. Dazu gehört die Auseinandersetzung um den Weg der Kirchen zwischen Evangelium und gesellschaftlichem Engagement. Die Diskussion hält bis heute an. Das verleiht dem Buch Aktualität, auch wenn es um Historie geht. Die Wirkungen der Ökumenischen Versammlung waren politische. Ihre Forderungen finden sich wieder in den Programmen von Neuem Forum, Demokratie Jetzt oder Sozialdemokratischer Partei. Grundtenor in den Texten war die Gewaltfreiheit. Dies wurde zur tragenden Haltung der friedlichen Revolution.

Katharina Seifert hat eine umfassende und in den Details sehr gründliche Studie vorgelegt. Leider fehlt ein Personenverzeichnis. Das hätte den Gebrauch erleichtert.

Tomas Gärtner

Katharina Seifert: Glaube und Politik. Die Ökumenische Versammlung in der DDR 1988/89; St. Benno-Verlag; Leipzig 2000; ISBN 3-7462-1362-2; 48 Mark.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 47 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.11.2000

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