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Bistum Dresden-Meißen

Aus dem Festvortrag von Monsignore Prause (2)

Garnisionskirche Dresden

Vor 100 Jahren wurde in Dresden die Garnisonkirche - die heutige katholische Pfarrkirche St. Martin - eingeweiht. Monsignore Eberhard Prause näherte sich in seinem Festvortrag an die Geschichte des Bauwerkes an:

Im Vorraum des Turmes dieser Kirche wurden sechs Tafeln mit den Namen der in Frankreich Gefallenen von 1870/71 angebracht. Die Orte tragen die gleichen Namen wie die der Ereignisse von 1914 bis 1918. Nur, dass es im Krieg 45 Jahre später weitaus grausamer und martialischer zuging.

Erich Maria Remarque schildert in seinem weltberühmten Roman "Im Westen nichts Neues" wie ein deutscher und ein französischer Soldat nacheinander in den gleichen Bombentrichter springen. Der Deutsche ersticht den Franzosen, der dann langsam neben ihm stirbt: "Das Schweigen dehnt sich. Ich spreche und muss sprechen. So rede ich ihn an und sage es ihm. ,Kamerad, ich wollte dich nicht töten. Sprängst du noch einmal hier hinein, ich täte es nicht, wenn auch du vernünftig wärest. Aber du warst mir vorher nur ein Gedanke, eine Kombination, die in meinem Gehirn lebte und einen Entschluss hervorrief - diese Kombination habe ich erstochen. Jetzt sehe ich erst, dass du ein Mensch bist wie ich. Ich habe gedacht an deine Handgranaten, an dein Bajonett und deine Waffen - jetzt sehe ich deine Frau und dein Gesicht und das Gemeinsame. Vergib mir, Kamerad! Wir sehen es immer zu spät.

Warum sagt man uns nicht immer wieder, dass ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, dass eure Mütter sich ebenso ängstigen wie unsere und dass wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz. Vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein. Wenn wir diese Waffen und diese Uniform fortwerfen, könntest du ebenso mein Bruder sein ... "

... Ist es eventuell bei aller Zwiespältigkeit eher diese Kirche, die über das Gedachte, Beabsichtigte und Gewollte von vor einhundert Jahren hinaus hier steht und nun, endlich auch baulich erneuert, ein Zeugnis für den schlichten Glauben an Gott ist, unter dem Verzicht auf irgend etwas "Heldenhaftes" oder gar unter uns Menschen "Unsterbliches"? Wie kaum irgendwo brechen sich in diesem Bau die Linien vom zweiten zum dritten Jahrtausend. Das Neue wird ja mit viel Aufwand begrüßt, ist aber der Abschied auch durchlebt und somit gründlich durchdacht?

Wir finden es zusammengebracht in dem Klage- und Hoffnungsschrei von Wolfgang Borchert, der die Not des Krieges, in die ganze Generationen geschleudert wurden, in die Worte fasst: "Wir sind die Generation ohne Bindung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist Abgrund. Wir sind die Generation ohne Glück, ohne Heimat und ohne Abschied. Unsere Sonne ist schmal, unsere Liebe grausam und unsere Jugend ist ohne Jugend. Und wir sind die Generation ohne Grenze, ohne Hemmung und Behütung - ausgestoßen aus dem Laufgitter des Kindseins in eine Welt ... sie gaben uns keinen Gott mit, der unser Herz hätte halten können, wenn die Winde dieser Welt es umwirbelten. So sind wir die Generation ohne Gott, denn wir sind die Generation ohne Bindung, ohne Vergangenheit, ohne Anerkennung ... Aber wir sind eine Generation der Ankunft. Vielleicht sind wir eine Generation voller Ankunft auf einem neuen Stern, in einem neuen Leben. Voller Ankunft unter einer neuen Sonne, zu neuen Herzen. Vielleicht sind wir voller Ankunft zu einem neuen Lieben, zu einem neuen Lachen, zu einem neuen Gott. Wir sind eine Generation ohne Abschied, aber wir wissen, dass alle Ankunft uns gehört." Das Stichwort heißt also Ankunft, und damit Gegenwart und auch Zukunft. Bis hierher ist das ja vielleicht nicht das, was Sie als Festrede erwartet haben. Zu solchen Anlässen liebt man sonst mehr die schöne Rede, die erhebenden Gedanken. Aber dieser Ort gebietet diese Redlichkeit einer tragischen Geschichte gegenüber der zu bedenkenden 100 Jahre.

Wie hat es doch Erich Kästner 1945 in seinem Tagebuch notiert: "Die Vergangenheit muss reden, und wir müssen zuhören. Vorher werden wir und sie keine Ruhe finden." Die Versuchung ist zu allen Zeiten groß, zu schnell seine Ruhe vor der Vergangenheit haben zu wollen, man darf sich dann nicht wundern, dass eine pädagogische Wirkung auf junge Leute ausbleibt und sie erneut Rattenfängern hinterher laufen und meinen, gewalttätig sein zu dürfen.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 47 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.11.2000

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