Erziehung nicht an den Eltern vorbei
Magdeburg
Magdeburg (dw) - Eltern der katholischen Kindertagesstätte in Burg haben eine landesweite Bürgerbewegung gegen Sachsen-Anhalts neues Gesetz zur Einführung der Grundschule mit festen Öffnungszeiten in Gang gesetzt. Die Initiative "ABC schützen" will das Gesetz, das mit Beginn des nächsten Schuljahres in Kraft treten soll, wieder zu Fall bringen. Ab August 2001 soll die Pflicht-Aufenthaltsdauer der Grundschüler von bisher durchschnittlich dreieinhalb bis vier auf täglich 5,5 Zeitstunden erhöht werden. Nicht nur der Unterrichtsbesuch wird demnach fortan für die Kinder in Sachsen-Anhalt verplichtend sein, sondern auch die in den Schultag eingestreuten schulischen Freizeitangebote.
Die Eltern sehen darin einen Eingriff in ihr Erziehungsrecht. "Feste Öffnungszeiten ja, aber als freiwilliges Angebot", lässt sich ihre Gegenposition auf den Punkt bringen. Sie haben Infobriefe an alle Grundschulen und Kindertagesstätten des Landes geschickt und auf die Inhalte des Gesetzes hingewiesen.
Unter anderem bemängeln die Initiatoren von "ABC schützen", dass Kultusminister Gerd Harms (SPD), als er seinen Gesetzentwurf dem Landtag vorstellte, schwerpunktmäßig nicht auf pädagogische Konzepte, sondern auf das Personalproblem des Landes mit Hortnerinnen eingegangen sei. Eine große Anzahl von Hortnerinnen, die das Land nach dem bisher gültigen Hortgesetz bis 2003 weiterbeschäftigen muss, sollen vom kommenden Schuljahr an als pädagogische Mitarbeiter in den Grundschulen eingesetzt werden.
Auf den Leserbriefseiten beider großer Tageszeitungen entbrannte daraufhin in den letzten Wochen eine lebhafte Diskussion. Die Magdeburger Volksstimme ermittelte in einer TED-Umfrage, dass 73,9 Prozent ihrer Anrufer das neue Gesetz ablehnen. Auch Hedwig von Beverfoerde, die Sprecherin der Initiative, hat fast ausschließlich Echos erhalten, die ihr Engagement gegen das Gesetz unterstützen. Viele Anrufer hatten erst über die Infobriefe der Initiative "ABC schützen" vom Inhalt des Gesetzes erfahren, das der Landtag am 12. Oktober mit den Stimmen von SPD und PDS beschloss. Auch sie selbst habe die Konsequenzen erst richtig begriffen, als das Gesetz schon beschlossen war, erzählt die Sprecherin.
Kritisch äußerte sich eine Hortnerin, die mit ihr telefonierte: Zuerst hat uns das Kultusministerium unter Druck gesetzt, uns auf die pädagogischen Stellen der Grundschulen zu bewerben, jetzt bekommen wir auch noch Druck von den Eltern, klagte sie. Nachdem die Sprecherin deutlich gemacht hatte, dass dies keinesfalls beabsichtigt sei, sicherte die Hortnerin sogar zu, den Infobrief in ihrer Einrichtung zu verbreiten.
Genau kann von Beverfoerde nicht sagen, wie viele Bürger sich der Bewegung bereits angeschlossen sind, sie schätzt, dass es mehrere hundert sind, Vertreter unterschiedlicher Weltanschauungen, Konfessionen und Parteien. "Die Landesregierung soll merken, dass wir nicht alles mit uns machen lassen", sagt Henrike Schütz, eine katholische Mutter aus Halle. Ihre Tochter Friederike geht in die erste Klasse. Nach dem Unterricht braucht sie ihren Mittagsschlaf. "Bis halb zwei in der Schule zu sein, das wäre für sie viel zu lange", sagt Henrike Schütz, die sich an die Eingriffe ins elterliche Erziehungsrecht zu DDR-Zeiten erinnert fühlt: "Wenigstens die Hortbetreuung war damals aber freiwillig".
Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie begonnen, Unterschriften gegen das neue Grundschulgesetz zu sammeln, in der Schule und im Kindergarten ihrer Kinder, an den Arbeitsplätzen und im Bekanntenkreis. Die Familie gehört zu einer Gründungsinitiative für eine katholische Grundschule in Halle. Besonders ärgerlich findet Henrike Schütz, dass keine Ausnahmeregelung für Schulen in freier Trägerschaft vorgesehen ist: "Das würde überhaupt nicht in unser Schulkonzept passen."
Gegenwärtig arbeiten die Mitglieder von "ABC schützen" noch an einem Strategiekonzept. Mit Hilfe des Drucks der Öffentlichkeit sollen die Parlamentarier zunächst bewegt werden, das Gesetz selbstständig zurücknehmen, erläutert Hedwig von Beverfoerde. Falls das nicht funktioniert, will die Initiative weitere Schritte gehen, im äußersten Fall würden sie auch eine Verfassungsklage nicht ausschließen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.11.2000