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Bistum Magdeburg

Schwangerenberatung ab Januar ohne Schein

Caritas Halle

Halle (dw) - In den Schwangerenberatungsstellen der Caritas im Bistum Magdeburg bekommen Frauen ab Jahresbeginn keine Scheine mehr. Auch in der Vergangenheit endete längst nicht jede Konfliktberatung mit dem Ausstellen des Scheins. Ein Beispiel aus Halle.

Charlotte Friederike scheint ein schweres Bröckchen zu werden. Zum Jahreswechsel werden ihre Eltern sie zum ersten Mal auf den Arm nehmen können. Sie freuen sich sehr auf ihr Mädchen, auch wenn sie vor siebeneinhalb Monaten ihre Lebenspläne gründlich durchkreuzte. "Kinder wollte ich eigentlich viel später haben, so mit 30, 35 Jahren vielleicht", erzählt Christina Rother*.

Als sich Charlotte Friederike ankündigte, war sie gerade 20 und stand am Beginn ihrer Erzieherinnenausbildung. Mit Tobias war sie erst seit einem Monat zusammen. "Ich wollte doch noch was aus meinem Leben machen", war der erste Gedanke des 23-jährigen Verfahrenstechnik-Studenten. Bis auf einen einzigen Freund warnten im Bekannten- und Verwandtenkreis alle davor, das Kind auszutragen. Schließlich hatten die beiden noch kein Einkommen. Christina, die eine leidenschaftliche Discogängerin ist und vor ihrer Schwangerschaft fast jedes Wochenende unterwegs war, konnte sich wohl keiner so recht als Mutter vorstellen. "Meine Eltern trauen es mir immer noch nicht richtig zu", glaubt sie. In den ersten Wochen war sie selbst hin- und hergerissen.

Die Frauenärztin riet ihr, die Entscheidung nicht auf die lange Bank zu schieben. Sie empfahl ihr, die Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt oder - "noch besser" - die der Caritas, gleich um die Ecke aufzusuchen. Bei der Caritas herrsche ein angenehmes Klima, und man müsse nicht lange auf einen Termin warten, hatte die Ärztin gesagt. Gemeinsam mit ihrem Freund Tobias gehörte Christina in den vergangenen Monaten zu den "Stammgästen" der Caritasberaterin Gabriele Koch. "Sie hat uns Mut gemacht", sagen die beiden. Sie erfuhren Adressen von Stiftungen und Behörden, bei denen sie Unterhaltszuschüsse und Geld für Babyausstattung und Wohnungseinrichtung beantragen konnten und wurden gewappnet für den Gang zum Sozialamt. "Zum Glück wussten wir schon, auf welche Gelder wir Anspruch haben, denn von sich aus haben die Mitarbeiter dort manches einfach nicht gesagt. Von denen fühlten wir uns echt alleingelassen", erzählt Christina.

"Ich glaube, ohne Frau Koch wären wir verzweifelt", ergänzt Tobias. Als alle um sie herum bei der Nachricht der Schwangerschaft die Hände über dem Kopf zusammenschlugen, tat es ihnen gut, von ihr zu hören: "Das ist zu schaffen. Ich kenne eine Reihe von Leuten in ähnlicher Situation, die es gepackt haben." Je mehr die Freunde und Verwandte dagegen redeten, um so sicherer wurde ich mir, dass ich das Kind bekommen will, erinnert sich die junge Frau. Ein unbehagliches Gefühl haben beide bei dem Gedanken, anderen Menschen eine Weile auf der Tasche liegen zu müssen. "Ich will auf jeden Fall neben dem Studium jobben", hat sich Tobias vorgenommen. "Sobald ich arbeiten gehe, will ich das Geld an die Stiftungen wieder zurückzahlen", sagt Christina.

All diejenigen, die am Anfang von der Fortsetzung der Schwangerschaft abgeraten hatten, freuen sich heute mit Christina und Tobias auf Charlotte Friederike. Viele helfen mit, die Ankunft der Kleinen vorzubereiten. Auch die Eltern wollen die junge Familie unterstützen. "Wir stehen auf jeden Fall zu dem Kind, auch wenn ihr beiden nicht zusammenbleiben solltet", haben Tobias' Eltern zugesagt.

Ob Frauen, die wie Christina anfangs noch sehr unentschlossen sind, auch künftig noch den Weg zu ihr finden werden, ist für Gabriele Koch völlig unvorhersehbar. Sie hofft darauf, dass die Gynäkologen, die ihre Einrichtung bisher empfohlen haben, dies weiterhin tun. Zurzeit sucht sie in halleschen Gemeinden und am katholischen Elisabeth-Gymnasium ehrenamtliche Helfer, die sich für das Netzwerk Leben engagieren wollen.

Bisher kamen Ehrenamtliche vor allem in der Kinder-Kleiderkammer zum Einsatz, die die Caritas-Beraterin betreibt. Sie halfen dabei, Kinderkleidung zu besorgen und einzuräumen. In der Regel waren es Frauen, die sich ohnehin schon auf vielfältige Weise in ihrer Gemeinde engagieren. Gabriele Koch sucht nun insbesondere Freiwillige für einen unentgeltlichen Babysitter-Bereitschaftsdienst. Viele Schwangere, die in ihre Beratungsstelle kommen, wohnen weit weg von Großeltern, Tanten, Eltern und Schwestern und können sich nicht vorstellen, wie sie ihr Leben als allein Erziehende organisieren sollen: Was geschieht beispielsweise, wenn das Kind häufig krank ist und der Arbeitsplatz durch die häufige Abwesenheit der Mutter in Gefahr ist? Was soll die junge Auszubildende tun, wenn sie bis 19 Uhr Dienst hat, eine Rund-um-die-Betreuung aber nicht bezahlen kann? Gabriele Koch und ihre Kolleginnen in Magdeburg, Dessau, Halle und Torgau wünschen sich, in solchen Situationen Familien anrufen zu können, die vorher für einen gewissen Zeitraum ihre Hilfsbereitschaft zugesagt haben.

*Namen geändert

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 47 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 19.11.2000

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