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Bistum Dresden-Meißen

Was Jugendliche zu okkulten Bewegungen zieht

Dresden

Dresden - Sinn und Orientierung meinen viele Jugendliche heute in okkulten oder neuheidnischen Bewegungen gefunden zu haben. Es scheint, als könnten derartige Lehren den Hunger nach einer Alternative zu materiellem Wohlstand und einseitiger Orientierung auf Rationalität besser befriedigen als das Christentum. Warum? Dieser Frage sind Fachleute jetzt in einer Vortragsreihe des Kathedralforums Dresden nachgegangen.

Was Jugendliche an verschiedenen Szenen fasziniert, ist nach Ansicht von Klaus Farin die Möglichkeit, Gleichgesinnte zu finden und sich von anderen abzugrenzen. Jugendkulturen seien homogene, geschlossene Welten. Bei den schwarz gekleideten Gothics etwa - dazu zählen sich rund 60 000 der zwei Millionen Jugendlichen in der Bundesrepublik - habe jedes Detail eine festgelegte Bedeutung, die nur Eingeweihte verstehen.

Eine kirchenfeindliche Anti-Religion hat die Black-Metal-Szene entwickelt. Etwa 1000 Jugendliche gehören Farin zufolge bundesweit zum harten Kern, daneben gibt es rund 10 000 Fans. Zu deren Schock-Programm gehört, das Christentum ins Gegenteil zu verkehren. Da werden nicht nur Kreuze auf den Kopf gestellt. Da wird verkündet: "Das Böse ist gut". Nächs-tenliebe verweichliche nur. In sozialdarwinistischer Tradition betrachten die Musiker und ihre jugendlichen Anhänger das Leben als ewigen Kampf, in dem der Stärkere über den Schwächeren siegt. Eine offen christen-feindliche Stoßrichtung zeigt auch die rechtsradikale Szene. T-Shirts ziert der Slogan "Odin statt Jesus". Verächtlich lehnen die Jugendlichen das Christentum als angeblich vorderasiatisch-jüdische, naturverachtende und gleichmacherische Multikulti-Religion ab.

Die auffälligste Veränderung in den vergangenen Jahren ist für die Berliner Historikerin und Ethnologin Margitta Fahr: Während die "traditionellen" Heiden sich vorher meist in exklusiven, weitgehend unpolitischen Gruppen zusammenschlossen, sei nun eine regelrechte "neo-heidnische Renaissance" in der rechten Szene zu beobachten. "Heute ist der Rechtsextremismus der neue Träger dieser heidnischen Kultur." Zusammengesetzt ist die angeblich arteigene Religion aus Versatzstücken, zu der die Heiligung der Welt, Schönheit des Körpers ebenso gehören wie eine Sippengesinnung und Ahnenkult.

Runen, germanische Mythologie seien Reizthemen, denen man in der öffentlichen Diskussion lieber ausweicht, konstatiert der Berliner Regisseur Rüdiger Sünner, Autor des Dokumentarfilms "Schwarze Sonne", in dem er die mythologischen Hintergründen des Nationalsozialismus zeigt. Damit aber überlasse man diese Themen Leuten, die sie ideologisch besetzen. Jugendliche aber brauchten Metaphysisches, Mythologisches, Bilderwelten. Sünner: "Eine Gesellschaft, die das mit spöttischem Sarkasmus herabwürdigt, drängt das Bedürfnis nach Mythologie in die Kellerräume."

Gelegentlich werden Gewalttaten rechtsradikaler Schläger in die Nähe eines quasi-religiösen Opferkultes gestellt, um sie so zu erklären. Der Berliner Literatur-Professor Hans Dieter Zimmermann hält eine solche Gleichsetzung für falsch. Opfer seien in der Menschheitsgeschichte stets Ausdruck von Rationalität in einer Kulthandlung gewesen. Nicht Grausamkeit sei Ziel gewesen, nicht einmal bei Menschenopfern. Die Kulthandlung sei stets in die Gesellschaft eingebunden gewesen, habe letztlich ihrer Stabilisierung gedient. Zimmermann: "Diese rechtsextremen Jugendlichen aber schlagen oder töten aus Mangel an kulturellen Bindungen, das ist primitiv." Tomas Gärtner

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 48 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.11.2000

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