"... und nicht nur Ausländer weden sterben"
Rechtsextremismus
Weimar (mh) - Wer sich auf den Weg zum Weimarer Hotel Elephant gemacht hatte, um an der Veranstaltung "Verändert der Rechtsextremismus unsere Gesellschaft?" teilzunehmen, fand eine Antwort schon vor Beginn: Sicherheitskontrollen am Eingang, Polizei vor und Personenschützer im Hotel. Der Grund: Einer der Diskussionsteilnehmer war Michel Friedman, stellvertretender Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland.
Verändert der Rechtsextremismus unsere Gesellschaft? Mit verschiedenen Ja's führte Claudia Nothelle in die Diskussion ein. Ja sage sie angesichts ihrer Sorge, wenn ausländische Freunde allein in der Stadt unterwegs seien. Die Gesellschaft verändere sich aber auch positiv durch die, die gegen rechte Gewalt auf die Straßen gingen, sagte Nothelle, Redakteurin beim Mitteldeutschen Rundfunk, der die Veranstaltung des Katholischen Forums Thüringen und des Weimarer Goethe-Institut aufzeichnete. Auslöser für die Veranstaltung war der Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge im April.
Gegensätzliche Erfahrungen äußerten auch die Diskussionsteilnehmer: Der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Volkhard Knigge, sprach von regelrechten "Bekennerfahrten" in das ehemalige Konzentrationslager, die er seit Mitte der 90er Jahre beobachte. "Wäre dieses Lager noch in Betrieb, hätten wir keine Türken", heiße es dann so oder ähnlich im Gästebuch. Anders die Erfahrungen von Hans Hoffmeister von der Thüringer Landeszeitung: Zehntausende haben sich an der von seiner Zeitung ins Leben gerufenen Aktion "Thüringen tolerant" beteiligt. "Ich glaube, wir sind wacher geworden." Zwar gebe es diesen "Aufstand der Anständigen", sagte Bernd Kauffmann, Präsident der Stiftung Weimarer Klassik. "Mir fehlt aber der Aufstand der Zuständigen", kritisierte er mit Blick auf die Politik. Man "tummele" sich um das NPD-Verbot. Was aber passiert in der Jugend- und Sozialpolitik?
Die zarten Hoffnungspflänzchen der letzten Wochen sieht auch Michel Friedman, doch: Rechtsextremismus und Rassismus - treffender sei der Begriff "Menschenhass" - sei das ernsteste Problem in der Geschichte der Bundesrepublik. "Das hat nichts mit Ost und West zu tun." Weit verbreitet seien eine Mentalität des Hinnehmens, häufig sogar Sympathie nach dem Motto "... die haben zwar übertrieben, aber ... ". Es gehe nicht um ein Minderheitenproblem, sondern um das Überleben der Gesellschaft. Entweder würden die Menschen begreifen, welches Privileg sie mit Freiheit und Demokratie besitzen, oder Deutschland werde an seinen Problemen zusammenbrechen "und nicht nur die Ausländer werden sterben", warnte Friedman.
Angesprochen auf eine "Feuerwehrfunktion der Kirchen" sagte Bischof Joachim Wanke: "Was wir als Minderheitenkirche tun können, wollen wir tun." Notwendig aber sei der Konsens aller darüber, "was die Gesellschaft im Innersten zusammenhält". Auch zehn Jahre nach der Einheit seien die Ostdeutschen in einem existentiellen Lernprozess voller Unsicherheiten. "Da kommen die einfachen Lösungen!" Wanke forderte nicht nur Therapie, sondern Diagnose. Die DDR sei nicht nur an der Ökonomie gescheitert, sondern auch am Menschenbild. Das müsse ins gesellschaftliche Gespräch. "Wir müsse in die Begleitung junger Menschen mehr investieren, aber wir müssen auch die Mechanismen entlarven."
Der MDR zeigt die Diskussion als "Erfurter Gespräch" am
5. Dezember (22 Uhr).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 26.11.2000