Adventaktion für das Kinderheim Saretschje (2)
Kaliningrad/Dessau
Kaliningrad / Dessau - Barfuß und kurzärmelig spielen Kinder im Schneetreiben auf einer Dorfstraße bei Kaliningrad (Königsberg). Das Fahrzeug des Dessauer Hilfstransports stoppt, die Insassen suchen unter den mitgeführten Kisten eilig nach warmen Kleidungsstücken. Nur für einen Jungen findet sich kein passender Anorak, da verschenkt der zehnjährige Johannes Glathe kurzerhand seine eigene Jacke.
Diese Begebenheit liegt schon einige Jahre zurück, und doch ist sie Johannes Glathe und seinen Eltern noch immer lebendig vor Augen. Für die Mitarbeiter der katholischen Bewegung Lumen Christi in Kaliningrad, die katholische und evangelische Christen aus Dessau-Süd seit einigen Jahren mit jährlichen Hilfsaktionen unterstützen, sind vernachlässigte und verwahrloste Kinder im Straßenbild nichts Ungewöhnliches. Die wenigsten der Jungen und Mädchen sind elternlos, häufig hat der Alkoholismus die Familien so sehr zerstört, dass die Kinder sich selbst überlassen bleiben. Die einzige Chance liegt für viele darin, einen Platz in einem der kommunalen Kinderheime zu finden, die rund um Kaliningrad entstanden sind.
Der Staat hat für den Unterhalt der Kinderheime allerdings kaum Geld. In sechs Heimen sind die Mitarbeiter von Lumen Christi regelmäßig zu Gast. Sie helfen nach Kräften bei Ausbau und Renovierung, insbesondere mit Sachspenden und den Diensten einer kleinen Handwerker-kolonne, die mehr als 30 russischen Arbeitskräften den Lebensunterhalt sichert.
Das Kinderheim des Dorfes Saretschje (Pregelswalde), 30 Kilometer südöstlich von Kaliningrad, besuchten Otto und Martina Glathe, die gemeinsam mit Katrin und Heiko Perlwitz die Initiatoren der Dessauer Kaliningrad-Hilfe sind, im Oktober bereits zum dritten Mal. Otto Glathe, der in Dessau ein Fuhrunternehmen betreibt, erinnert sich noch gut an das erste Mal: Es war eiskalt in den Räumen des ehemaligen Kolchose-Kindergartens. Ein Durchgang hatte keine Fenster, das Heizhaus stand 50 Meter entfernt, auf dem Weg durch die undichten, schlecht isolierten Heizungsrohre ging in der Oktober-Kälte sämtliche Wärme verloren. Spielzeug gab es nicht, die Toiletten waren einfache Löcher im Fußboden, im ganzen Wohnhaus gab es nur einen Wasserhahn. Die Mitarbeiterinnen des Heims machten jedoch schon damals einen sehr engagierten Eindruck, sie beschäftigten sich viel mit den Kindern und Jugendlichen.
In den vergangenen Jahren hat sich mit Unterstützung der aus dem Süddeutschen stammenden Bewegung Lumen Christi in Saretschje viel getan: Mittlerweile gibt es dort eine funktionstüchtige Ölheizung, Toiletten und Duschen. Nachdem ein Erweiterungsbau fertiggestellt wurde, hat sich die Zahl der Plätze auf 40 verdoppelt. Seit kurzem gibt es auch eine kleine Sporthalle. Die Erträge des Gartens decken fast den gesamten Gemüsebedarf des Heims, eine Kuh sichert die Versorgung mit frischer Milch.
Die Kinder scheinen sich hier wohl zu fühlen. Von der Lethargie, die nach dem Zusammenbruch der Kolchosen und der gesamten Infrastruktur bei Erwachsenen in der Region häufig zu beobachten ist, sind sie noch nicht angesteckt. "Viele Menschen dort warten auf Hilfe, entwickeln selbst aber überhaupt keine Initiative, ihre Situation zu verbessern", bedauert Otto Glathe. Beispielsweise sah er eine Frau, die über Hunger klagte, die reifen Äpfel in ihrem Garten aber einfach achtlos am Baum hängen ließ. Vor einem Haus sah er einen funktionstüchtigen Heizkörper, der als Fußabtreter benutzt wurde - schon oft war er nach Heizungsmaterial gefragt worden. In den Dörfern traf er immer wieder auf Hausbesitzer, die auch nicht das Notwendigste taten, um ihre verfallenden Häuser instand zu halten. Die Kinder im Heim von Saretschje sollen so früh wie möglich lernen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen.
In einer Werkstatt, die Lumen Christi im frei gewordenen alten Heizhaus einrichten will, sollen sie sich - angeleitet von den Erziehern - Fertigkeiten aneignen, die ihnen auch als Erwachsene noch nützlich sein können. Ausbildungsplätze gibt es in Russland kaum. Für Menschen, die nicht selbst die Initiative ergreifen können, ist es deshalb sehr schwierig, sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Ein gewollter "Nebeneffekt" der Werkstatt soll es sein, dass das Heim viele Möbel und Gebrauchsgegenstände nicht mehr kaufen muss, sondern Selbstgefertigtes verwenden kann.
Ein Schraubstock und eine Drechselbank bilden bereits den Grundstock der Werkstatt, die das Handwerker-Team von Lumen Christi in Kürze renovieren will. Mit den Spenden der Tag des Herrn-Leser soll die Werkstatteinrichtung gekauft werden, Werkbänke zum Beispiel, eine kleine Drehbank, Nähmaschinen, Webstühle und Werkzeug.
Erst vor wenigen Tagen waren zwei Mitarbeiter von Lumen Christi im Saretschjer Heim. Sie trafen die Kinder beim Basteln und Nähen an, eine größere Gruppe füllte auch den neuen Sportsaal mit Leben. "Wir sind immer wieder erfreut über die positive Atmosphäre im Haus und im Umgang mit den Kindern", schrieb Diakon Helmut Quirrenbach anschließend. Vordergründig missionieren will die seit 1995 in Kaliningrad ansässige kleine Gemeinschaft in den Kinderheimen nicht, doch die Mitarbeiter freuen sich darüber, wenn nach dem Glauben gefragt wird und geben dann bereitwillig Auskunft.
"Es ist offensichtlich, dass es sozial aufwärts geht überall dort, wo die Christen sich engagieren", sagt Martina Glathe. "Da kommt es durchaus vor, dass die Leute neugierig werden und wissen wollen, was dahinter steckt."
Dorothee Wanzek
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Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 03.12.2000