Vom Streuselkuchen zur heiligen Hedwig
Ein Rundgang durch das neu eröffnete schlesische Museum
Görlitz, "Verehrte Besucher, Sie kommen in ein Museum, das noch im Aufbau ist. Hier wird noch kräftig gebaut, geplant, geforscht, die Sammlung wächst und entwickelt sich." So steht es an der Vitrine im ersten Ausstellungsraum des neu eröffneten Schlesischen Museums zu Görlitz.
Auf der Wand dahinter ist mit blauer Farbe eine Landkarte aufgezeichnet. 22 rote Punkte markieren 22 polnische Orte, in denen sich ebenfalls Museen befinden, die sich mit der Region Schlesien befassen. Darunter sind drei kirchliche Häuser, wie Thomas Maruck aufgefallen ist: die Diözesanmuseen in Breslau (Wroclaw), Kattowitz (Katowice) und Oppeln (Opole).
Auch in den anderen Museumsräumen kennt der Görlitzer Buchhändler schon jeden Winkel. Zum dritten Mal besucht der Schlesienkenner nun die Ausstellung, die seit Mitte Dezember im Haus zum Goldenen Baum am Görlitzer Untermarkt gezeigt wird. Bereits am Eröffnungstag hatte sich Maruck bis kurz vor Mitternacht dort aufgehalten und sich im Flur vor dem zweiten Ausstellungsraum sogar zwei Zitate von der Wand abgeschrieben, die ihm besonders gefielen. Eines davon ist der Ausspruch des preußischen Königs Friedrich II.: "Was die Schlesier angeht, haben sie feines Benehmen, sogar die Bauern ..."
An der Wand gegenüber hat es Maruck ein Schwarz-Weiß-Foto angetan: Wie er vermutet, wurde es irgendwann in den 30er oder 40er Jahren aufgenommen. Es zeigt eine alte Schlesierin, die zwei Bleche mit Streuselkuchen trägt. Soeben ist sie an einem Franziskaner vorbeigegangen, der nun, für den Betrachter nur noch von hinten zu sehen, in die entgegengesetzte Richtung seinen Weg fortsetzt. Im zweiten Museumsraum, er ist vorwiegend der Stadt Breslau und dem Riesengebirge gewidmet, bleibt Maruck vor einem Ölgemälde von Georg Wichmann stehen. Die Berghänge erinnern Maruck an den Gottesdienst, den er zusammen mit anderen Mitgliedern des Görlitzer Riesengebirgsvereins am Laurentiustag, dem 10. August, in diesem höchsten Gebirgszug der Sudeten feiern wird. Beim Verlassen des Zimmers fällt Maruck ein Foto der Breslauer Universität auf. Sie feiert in diesem Jahr ihr 300-jähriges Bestehen. 1702 war ihre Vorgängerin, die Jesuitenakademie "Leopoldina", gegründet worden.
Über die Treppe in der gotischen Halle geht es hinauf ins zweite Obergeschoss des ehemaligen Gasthauses. Diese Etage beherbergt zurzeit Krüge aus Bunzlauer Keramik, Glaspokale, Zinngerät und zahlreiche andere Beispiele schlesischer Handwerkskunst, die häufig in kirchlichem Auftrag gefertigt wurde. Auch ein Biedermeiersalon aus Schloss Erdmannsdorf, dem schlesischen Sommersitz der preußischen Königsfamilie, ist dort ausgestellt.
In drei Jahren werden diese Möbel zusammen mit den anderen Exponaten der Eröffnungsausstellung in den Schönhof, ein benachbartes Bürgerhaus im Renaissance-Stil, umziehen. Seine Sanierung soll bis 2005 abgeschlossen sein. In die vorläufigen Ausstellungsräume im Haus zum Goldenen Baum wird dann die Museumsverwaltung mit ihren Büros einziehen, informiert Museumsmitarbeiterin Dr. Martina Pietsch. Der letzte Teil der Eröffnungsschau ist dem Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen auf schlesischem Boden gewidmet sowie der religiösen und politischen Vergangenheit dieses Landstrichs bis hin zur Vertreibung der deutschen Schlesier. Über Jahrhunderte hinweg hatten nationale Gegensätze in der schlesischen Geschichte kaum eine Rolle gespielt. Das Christentum wirkte gleichsam als einigendes Band zwischen der ansässigen slawischen Bevölkerung und den deutschen Siedlern. Erst im 19. Jahrhundert entstand ein Nationalitätenkonflikt. Besonders lange hält sich Thomas Maruck in dem Bereich auf, der mit "Religionen und Konfessionen" überschrieben ist. Ein Bildnis der heiligen Hedwig empfängt dort die Besucher. Die bayerische Adelstochter kam Ende des zwölften Jahrhunderts durch ihre Vermählung mit Herzog Heinrich I. nach Schlesien, zur gleichen Zeit wie viele deutsche Siedler.
Auf der Rückseite der Schautafel mit der Heiligen ist eine Karte des Bistums Breslau von 1751 zu sehen. Das Görlitzer Gebiet gehörte damals noch zu Bautzen, wie Maruck erläutert. Die Oberlausitz sei erst 1815 großteils der preußischen Provinz Schlesien angegliedert worden. Sechs Jahre später kam dieses Gebiet zum Bistum Breslau. Auch die unweit der Karte abgebildeten Kupferstiche der Zisterzienserklöster Leubus und Trebnitz betrachtet Maruck eine Weile. Wenn er daran denke, was durch den Krieg und die Vertreibungen alles verloren gegangen sei, dann stehe er "vor so einem Blättel ganz ehrfürchtig davor", meint er. Andachtsbilder aus schlesischen Wallfahrtsorten sind ebenso erhalten geblieben. "Das Christkindlein von Albendorf in der Grafschaft Glatz", sagt Maruck und deutet auf eines der gezeigten Bildchen.
In der nächsten Vitrine sind Sakralgegenstände ausgestellt. Als er die beiden Altarleuchter aus der Glogauer Laurentiuskapelle sieht, muss Maruck an seinen Heimatort denken: "In der Art haben wir sie auch in Jauernick stehen. Aber die Glogauer sind noch ein bisschen imposanter." Ein paar Meter weiter kommt Marucks Ohren etwas bekannt vor: der Dialekt aus der Gegend um Hirschberg, genannt Gebirgsschlesisch,, der auf Knopfdruck zu hören ist: "Bei uns im Görlitzer Raum reden viele genauso."
Obwohl Maruck nun so gut wie alles kennt, was es im Schlesischen Museum bislang zu entdecken gibt, wird das wohl nicht sein letzter Besuch dort gewesen sein. Denn der Sohn schlesischer Eltern bezeichnet sich als großen Sympathisanten dieses Museums. Er findet es wichtig, dass die 700-jährige deutsche Tradition in Schlesien auch in Deutschland wissenschaftlich aufgearbeitet wird. Das allerdings geschah bisher nur etliche hundert Kilometer weiter westlich in Königswinter und Ratingen, nun aber mit dem Schlesischen Museum zu Görlitz erstmals auch im nach 1945 deutsch verbliebenen Teil Schlesiens. Besonders freut Thomas Maruck, dass alle erläuternden Texte "ohne Abstriche ins Polnische übersetzt" wurden. Das Schlesische Museum übernimmt für ihn damit eine Vorreiterrolle, denn: "Gerade hier in Görlitz ist noch viel zu wenig Zweisprachigkeit da."
Karin Hammermaier
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 29.01.2002