Wie ist das mit der Wiedergeburt?
Kathedralforum Dresden
Dresden (tg) - Mehr und mehr Menschen suchen ihr Heil in der Seelenwanderung. Einer Umfrage des Institutes für Demoskopie Allensbach zufolge sind bereits rund zwölf Prozent der über 16-jährigen Bundesbürger davon überzeugt, schon einmal in anderer Gestalt gelebt zu haben. Für den Münchener Religions-professor Horst Bürkle ist das kein Randproblem. "Die Frage der Wiederkehr nach dem Tod wendet sich an unsere geistige Gesamtorientierung", sagte er in einem Vortrag im Kathedralforum Dresden. Er sehe im Glauben an die Seelenwanderung einen Rückgriff auf Naturreligionen, die sich in ihren Vorstellungen von menschlicher Lebenszeit und Geschichte an den Abläufen des Kosmos orientieren. Einen Ausweg aus dem Kreislauf ewiger Wiederkehr zeigt beispielsweise der Buddhismus mit der Konzentration des Einzelnen nach innen im Yoga. Für den indischen Menschen etwa sei dies ein umfassender Heilsweg. "Deswegen kann man Yoga in Europa nicht einfach nur als autogenes Training betreiben."
Der christliche Glaube, so Bürkle, enthebe den Menschen der Zwänge der Natur-Abläufe auf andere Art. Gott wird zum Mittelpunkt des Ablaufs der unendlichen Zeit. "Er lässt den Menschen wissen, woher er kommt, wohin er geht." Alles sei auf die Offenbarung durch den Sohn ausgerichtet. Damit werde das Leben des Menschen, jeder Augenblick zu einem einzigartigen Geschehen. Jeder Augenblick zählt, weil er eine Station auf dem Weg zum Ziel ist.
Der Verlust dieser Perspektive in der Gegenwart zeigt sich für Horst Bürkle darin, dass Zeit für den modernen Menschen zur Mangelware geworden ist. Sie ist zu einer "verelendeten, gehetzten, gefangenen" Zeit geworden. Deshalb halten die Menschen, wie auch immer verborgen, nach einem Hoffnungshorizont jenseits ihres Lebens und Sterbens Ausschau. Doch die Brücke der christlichen Glaubensgewissheit ist für viele brüchig geworden. "Aber muss man denn", so fragt Bürkle, "wenn schon der Blick auf das verheißene Ende nicht mehr trägt, sich wieder auf den ewigen Kreislauf des Geschöpflichen besinnen?"
Den Grund für das neu erwachte Interesse an der Seelenwanderung sieht er in dem Versuch vieler Menschen, christliche Inhalte zu vermeiden und im Ablauf der Natur etwas abzulesen, was ihrem Leben Sinn verleiht. Deshalb hält er diese "quasi-religiöse Auswanderer-Bewegung" nicht für eine bloße Anreicherung der christlichen Lehre. Hier gehe es nicht nur um ein klein wenig mehr Gefühl. In seiner Sehnsucht danach, eine verlorene Zukunft wiederzuerlangen, verabschiedet sich der Mensch von der Geschichte.
"Unsere ganze Ethik hängt an diesem Faden", meint Bürkle. Hier nämlich entscheide sich, ob der Mensch auswechselbar oder einzigartig sei. "Wenn die Dinge im Grau ewiger Wiederkehr hängen, müssen wir neue Begründungen suchen. Aber ich weiß nicht, ob wir die dann auch finden." Was, so fragt Bürkle, ist beispielsweise mit einem Menschen, der behindert ins Leben kommt? Wird sein Leben dann relativiert, weil es eine Wiederkunft gibt?
Gleichwohl könnten Christen in der Begegnung mit anderen Religionen, die an die Wiederkunft glauben, wichtige Erfahrungen sammeln. Das westliche Christentum sei häufig einseitig auf das Wort und das logische Denken orientiert. In anderen Religionen könne man deutlicher sehen, dass Glaube auch etwas mit der Seele und dem Körper zu tun habe. Horst Bürkle: "Wenn christliche Religion wieder ganzheitlich würde, hätten wir viel dazugelernt."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 03.12.2000