Empfang für Vertreter aus Politik und Gesellschaft
Erfurt
Erfurt (ep) - Bischof Joachim Wanke hat den Erhalt und die stärkere Ausprägung einer "Leit-Kultur der Leid-Empfindsamkeit" in der Gesellschaft angemahnt. "Wir brauchen in unserer Gesellschaft eine Kultur der Sensibilität für die offene und verborgene Not von Mitmenschen", sagte Wanke beim diesjährigen Elisabeth-Empfang für Vertreter aus Politik und Gesellschaft in der Erfurter Bildungsstätte St. Martin. Es müsse in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik darum gehen, Schwache und Benachteiligte möglichst durch Befähigung zu eigenverantwortlichem Handeln am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen und sie nicht auszugrenzen. Andernfalls gehe der Gesellschaft etwas ganz Wichtiges verloren.
Nachdenkliche Menschen, so der Bischof weiter, beunruhige die Frage, ob unsere Gesellschaft künftig noch durch gemeinsame Werte und Normen zusammengehalten wird. "Hat die Sorge um die Zukunft der Familien noch die erforderliche Priorität? Verliert unsere Rechtsordung an moralischer Verbindlichkeit? Können wir Gewalt und Extremismus wirksam und nachhaltig begegnen? ... Steht unserer Gesellschaft eine stärkere Entsolidarisierung ins Haus?" fragte der Bischof.
Wanke nahm auch zur anstehenden Bundesratsentscheidung über Gesetzesänderungen hinsichtlich der von der Regierung angestrebten Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe Stellung, durch die die vom Grundgesetz garantierte Sonderstellung von Ehe und Familie praktisch aufgehoben werde. Er begrüße deshalb, dass sich die Thüringer Landesregierung bezüglich des Gesetzentwurfes der Berliner Regierungskoalition im Bundesrat im Sinne des Artikels 6 des Grundgesetzes verhalten wird."
Angesichts geplanter Kürzungen des Haushaltes im Zusammenhang mit der Änderung von Leistungsgesetzen etwa im Sozialbereich mahnte der Bischof eine "ausgewogene Verteilung der Lasten zwischen Land, Kommune, freien Trägern und Familien" an. Zudem appellierte Wanke an die Verantwortlichen, Trägern freier Schulen "eine der staatlichen Einrichtung vergleichbare Unterstützung" zu geben, da Schüler in entsprechenden Schulen voll ihrer Schulpflicht nachkommen können. Bischof Wanke: "Ich sage dies auch mit Blick auf unbefriedigende Regelungen in alten Bundesländern, die aus bekannten Gründen Thüringen in Zugzwang gebracht haben." (Vertreter der alten Bundesländer werfen Thüringen im Rahmen der Diskussion über den Länderfinanzausgleich vor, zum Beispiel für die Träger freier Schulen zu viel Geld auszugeben.)
Wanke erinnerte daran, dass die Caritas-Schwangerschaftsberatungsstellen mit Beginn des kommenden Jahres keine Beratungsscheine mehr ausstellen werden. Auch weiterhin würden die Beraterinnen aber wirksam auf Hilfen der Bundesstiftung "Mutter und Kind" sowie der Landesstiftung "Hilfe für schwangere Frauen in Not" aufmerksam machen können. Die katholischen Beraterinnen "bedauern sehr, dass auch innerkatholisch nicht deutlich gemacht werden konnte, dass die gesetzliche Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dient und stets darauf ausgerichtet ist", so Wanke. Bezüglich der Aktivitäten und Bestrebungen des Vereins "Donum vitae" sagte der Bischof: "Ich achte die Gewissensentscheidung und die Motivation der Männer und Frauen dieses Vereins. Es muss jedoch deutlich werden und klar bleiben, dass ,Donum vitae' nicht im Auftrag der verfassten Kirche handelt."
Ministerpräsident Bernhard Vogel begrüßte, dass sich Chris-ten zusammengefunden haben, die die Beratung im Rahmen der staatlichen Regelungen fortsetzen. Zugleich sagte er den Caritas-Schwangerschaftsberatungsstellen eine "wenn auch eingeschränkte" weitere Unterstützung zu. Manche würden den Christen empfehlen, sich in den Innenraum der Kirche zurückzuziehen, so der katholische Politiker. Doch Christen gehörten mitten auf die Straßen und Plätze und in den Kampf um die besten Lösungen für die Probleme der Menschen.
Bernhard Vogel, aber auch Landtagspräsidentin Christiane Lieberknecht und der Beigeordnete für Kultur der Stadt Erfurt, Joachim Kaiser, gratulierten Bischof Wanke anlässlich der 20. Wiederkehr seiner Bischofsweihe. Joachim Wanke habe die Kirche Thüringens durch zehn Jahre DDR-Zeit, aber "auch durch die nicht immer leichte Phase der Transformationen der letzten zehn Jahre geführt", sagte Frau Lieberknecht. Die Landtagspräsidentin dankte Wanke für die stets "weitsichtigen" und immer passenden Worte zu den jeweils anstehenden Fragen der Zeit, etwa auch zum ökumenischen Miteinander.
Auch der Beigeordnete Kaiser, der in Vertretung des Erfurter Oberbürgermeisters sprach, griff die jüngst durch Dominus Iesus ausgelösten ökumenischen Turbolenzen auf und sagte mit den Worten Bischof Wankes: "Wir dürfen uns nicht mit einer Grundhaltung des Verdachts, sondern sollten uns immer mit einer Hermeneutik des positiven Wohl- und Verstehenwollens begegenen."
Zu dem Empfang waren auch in diesem Jahr zahlreiche Minis-ter, Bundestags- und Landtagsabgeordnete, Vertreter politischer Parteien und aus dem gesellschaftlichen Leben sowie leitende kirchliche Mitarbeiter gekommen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 03.12.2000