Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Bistum Görlitz

Seit 40 Jahren rund um die Uhr im Einstatz

Ehrung

Hedwig-Maria Stapel betreut ihren schwerkranken Mann seit 40 JahrenGörlitz - "Das ist doch alles eine Selbstverständlichkeit." Hedwig-Maria Stapel macht nicht viel Aufhebens um ihre Person. An die 40 Jahre pflegt sie ihren Mann Walter nun schon, der an Bechterew, der - wie er sagt - "schlimmsten und schmerzhaftesten" Form des Rheuma leidet. Als Dank für ihren Einsatz ist die 64-Jährige am 24. November in Dresden von Sozialminister Dr. Hans Geisler mit der Annen-Medaille "Soziales Sachsen" ausgezeichnet worden.

Angefangen habe alles 1959, erinnert sich die Rentnerin, damals seien sie und ihr Mann jung gewesen, hätten das Ganze nicht so tragisch gesehen. Irgendwie würde es schon weitergehen. Anfangs habe der ehemalige Matrose sogar noch mit zwei Krücken die Betten gemacht, Staub gesaugt, gekocht und abgetrocknet. Außerdem hätten ihre beiden Kinder nicht in einen Hort zu gehen brauchen, weil ja der Vater zu Hause war. Peu à peu habe sich dessen Gesundheitszustand aber verschlechtert, nach den Hüften und dem Rücken seien auch noch die Hände steif geworden.

Heute kann sich der 67-Jährige so gut wie gar nicht mehr bewegen. Nur wenige Zentimeter lassen sich die Unterarme anheben. Für seine Frau bedeutet das Einsatz rund um die Uhr. Morgens muss die gelernte Bankkauffrau ihren Mann aus dem Bett herausdrehen, waschen, ankleiden, mit Rheumasalbe einreiben, mit Hilfe eines Lifters in seinen Rollstuhl setzen, ihn rasieren, füttern und ihm die Zähne putzen. Drei Stunden nimmt das Tag aus, Tag ein in Anspruch. Nebenbei richtet sie noch das Mittagessen. Danach hilft sie ihrem Mann wieder ins Bett - zu einem kurzen Mittagsschlaf.

Aus dem Haus gehen kann sie nur, wenn er, mit dem Telefon auf dem Bauch, im Bett ist. Die Gefahr wäre sonst zu groß, dass er im Rollstuhl immer weiter nach unten rutschten würde. Alleine aufrichten kann sich Walter Stapel nämlich nicht. Aber auch wenn er liegt, kann ihn seine Frau höchstens für vier Stunden allein lassen, dann muss er wieder seine Tropfen nehmen - auch nachts.

Verreist ist Hedwig-Maria Stapel zum letzten Mal vor 24 Jahren. Seitdem hatte sie keinen freien Tag mehr. Sie sei aber auch nicht der Typ, der raus möchte, unbedingt reisen müsse oder ins Kino gehen wolle, sagt sie. Und eigentlich lebe sie seit viereinhalb Jahren sowieso in einem "Urlaubsgebiet", meint die 64-Jährige. "Glaubenswerk 22" heißt das von evangelischen Christen geschaffene Gelände im Norden der Neißestadt, auf dem sich ausschließlich behindertengerechte Wohnungen befinden.

Hedwig-Maria Stapel weiß es zu schätzen, nicht mehr vier- bis sechsmal am Tag Kohlen schleppen zu müssen wie zu DDR-Zeiten. Auch viele Hilfsmittel, beispielsweise Lifter, habe es damals nicht gegeben. Sieben Jahre hätten sie allein auf einen Telefonanschluss gewartet, obwohl den Behinderte eigentlich hätten bevorzugt bekommen sollen. All diese Widrigkeiten hielten die katholische Christin aber nicht davon ab, 1984 auch noch ihre fast 80-jährige Mutter aus Bochum nach Görlitz zu holen. Ein Jahr später wurde sie ebenfalls zum Pflegefall. Ihre Tochter hatte nun zwei Patienten zu betreuen.

Auch heutzutage fasst sie überall dort mit an, wo ihre Unterstützung gebraucht wird, zum Beispiel hilft sie dem spastisch gelähmten Nachbarn im Winter aus seinem Fellsack, wenn er mit dem Rollstuhl nach Hause kommt, schließt ihm die Wohnungstür auf, trägt seine Taschen für ihn in die Küche und rückt den Fußabtreter wieder zurecht, wenn er verrutscht ist. Oder sie bringt der Nachbarin Eier mit, weil diese sich nicht traut, sie mit dem Rohllstuhl nach Hause zu bringen.

Woher sie die Kraft nimmt für diesen selbstlosen Einsatz, weiß die Rentnerin selbst nicht so genau. "Die wurde mir gegeben", sagt sie schlicht, erzählt von einem Wortwechsel mit einer ihr bekannten Augenärztin, die in der Partei gewesen sei. "Wie tragen Sie das?", habe diese sie einmal gefragt. "Ist das Ihr Glaube?" "Ich denke schon", sei ihre Antwort gewesen, erinnert sich Stapel, worauf ihre Gesprächspartnerin entgegnet habe: "Ihr Christen habt uns eben doch etwas voraus."

Einmal im Monat bringt ein Diakon ihrem Mann die heilige Kommunion ins Haus. Jeden Sonntag zum Gottesdienst in eine Kirche zu fahren, käme einfach zu teuer. Rund alle vier Woche findet eine heilige Messe auf dem Gelände des "Glaubenswerks 22" statt, die das Ehepaar Stapel gerne besucht. Vor dem Essen sprechen die beiden immer gemeinsam das Tischgebet. Viele Freunde hätten sie wegen der Krankheit verloren, berichtet Hedwig-Maria Stapel, doch der Zusammenhalt unter den Nachbarn sei sehr gut. Ein Skat-Bruder ihres Mannes habe ihr gleich angeboten, sie am 24. November zur Verleihung der Annen-Medaille nach Dresden zu fahren. Ihr Sohn sei an diesem Freitag nach Görlitz gekommen, um den pflegebedürftigen Vater zu betreuen.

Natürlich gebe es manchmal auch Tage, an denen sie "das Heulen kriegen" könnte, gesteht Frau Stapel, besonders, wenn sie sich selbst nicht ganz wohl fühle. Doch im Großen und Ganzen habe sie es mit diesem Kranken "nicht schwer", versichert die 64-Jährige und blickt ihren Mann liebevoll an, so ein "lustiger Vogel", wie der nach wie vor sei.

Karin Hammermaier

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 49 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 03.12.2000

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps