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Aus der Region

Adventaktion für das Kinderheim Saretschje (3)

Kaliningrad/Dessau

Kaliningrad / Dessau - "Wir spüren jedesmal, dass viele an uns denken und für uns beten", sagt Martina Glathe, die im Oktober zum wiederholten Mal mit einer Gruppe Dessauer Christen nach Kaliningrad (Königsberg) gefahren ist. Die Hilfseinsätze für Kaliningrad sind nicht nur für die Empfänger der Spenden bereichernd, sondern auch für das Leben der Dessauer Gemeinde, glaubt Maristenpater Heinrich Haskamp, Pfarrer in Dessau-Süd.

Viele in der Gemeinde lassen sich Jahr für Jahr von neuem ansprechen, wenn es darum geht, Geld, Kleidung und andere Hilfsgüter zu spenden, die Kleiderspenden zu sortieren oder auch selber mitzufahren in die Region Kaliningrad. 5000 Mark konnten die Helfer beispielsweise allein bei der jüngsten Fahrt mit nach Russland nehmen, zusätzlich zu den aus eigener Tasche beglichenen Reisekosten. Zum Vergleich: Ein Lehrer verdient dort im Monat etwa 70 bis 80 Mark, ein Arzt etwas weniger.

Die jährliche Herbstaktion stärkt nicht zuletzt den Zusammenhalt zwischen den Konfessionen im Dessauer Stadtteil, denn mittlerweile beteiligen sich auch evangelische und methodistische Christen. Die evangelische Pfarrerin Karin Bertheau fährt seit zwei Jahren bei der Oktober-Fahrt mit.

Nicht die materielle Hilfe steht für Martina Glathe und ihren Mann Otto, einen ortsansässigen Fuhrunternehmer an erster Stelle, sondern die Kontakte: "Wir möchten den Menschen dort zeigen, dass sie auch in schwierigen Lebenssituationen nicht vergessen sind."

Für Pfarrer Haskamp selber, der die Fahrten fast jedesmal begleitet, ist es immer wieder ein tief ergreifendes Erlebnis, mit völlig fremden Menschen in Kaliningrad oder Tilsit in der Messfeier verbunden zu sein.

Die 20-jährige Dessauerin Janette Werner hat in Kaliningrad die Weichen für ihr Leben gestellt. Bevor sie anfing, in Berlin Sozialpädagogik und Sozialarbeit zu studieren, machte sie 1999 ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der geistlichen Gemeinschaft Lumen Christi. Seit einigen Jahren ist diese in Süddeutschland gegründete Kommunität in Kaliningrad sozial aktiv. Janette verliebte sich in Sergej, den Sekretär der dortigen Sozialstation und heiratete ihn vor drei Monaten. Während der Zeit in Kaliningrad hat sie in unterschiedlichen Einsatzbereichen gearbeitet: In der ambulanten Praxis der aus dem Eichsfeld stammenden Ärztin Elisabeth Winter half sie mit, Obdachlose zu entlausen. Bedürftige haben hier in regelmäßigen Abständen Gelegenheit ein Wannenbad zu nehmen und sich neu einkleiden zu lassen. Später war sie in der Armenküche der Caritas und in einer Kleiderkammer tätig.

Immer wieder bekam Janette in der dortigen Sozialstation Besuch von Schlüssel- und Straßenkindern, die bald Vertrauen zu ihr gefasst hatten. "Mit manchen der Straßenkinder konnte ich mich nur im Freien länger unterhalten. Sie rochen so intensiv nach Klebstoff, dass mir sonst schlecht wurde", erzählt sie. Schnüffelstoffe helfen den Kindern und Jugendlichen, ihr Elend für Stunden zu vergessen, die Kälte, den Hunger, die Verlassenheit und den harten Kampf um die Rangordnung in ihren Banden.

Die Schnüffelei hat eine üble Kehrseite: Das billige Suchtmittel lässt die Kinder geistig und körperlich weit zurückbleiben. Mancher Junge, den Janette Werner auf zwölf Jahre geschätzt hätte, war in Wirklichkeit schon 14 oder sogar 18 Jahre alt.

Ein wohltuender Kontrast war es für die angehende Sozialpädagogin, die Jungen und Mädchen im Dorf-Kinderheim Saretschje zu erleben. Wenn die Lumen-Christi-Mitarbeiter Besuch aus dem Ausland bekamen, führten sie die Gäste oft auch nach Saretschje oder in eines der anderen Kinderheime im Kaliningrader Umland, die von der Gemeinschaft unterstützt werden. Mehrmals war auch Janette dabei.

Schon vorher waren ihr die Heime ein Begriff gewesen. Die Sternsinger der katholischen Gemeinde in Dessau-Süd sammeln in Absprache mit dem Kinderhilfswerk schon seit einigen Jahren immer für eben diese Einrichtungen. "Die Kinder in Saretschje leben mit ihren Erziehern wie in einer Familie zusammen", war Janette Werners positiver Eindruck. Die Kinder wirken einfach gekleidet, aber ordentlich und aufgeweckt. Sie lernen kochen und nähen. Bei der Feldarbeit - das Heim versorgt sich selbst mit Obst, Gemüse, Kartoffeln und Milch - werden sie ebenfalls eingespannt.

Auch die selbst zurechtgezimmerte Drechselbank, das erste provisorische Ausstattungsstück der geplanten Werkstatt, die mit Hilfe der Spenden von Tag des Herrn-Lesern eingerichtet werden soll, bekam Janette Werner zu Gesicht, als sie Saretschje während des jüngsten Dessauer Hilfstransportes wieder sah. Deutschen Sicherheitsnormen würde die Bank allerdings in keiner Weise genügen. Janette und die anderen Besucher hatten Sorge, dass der Junge, der gerade daran arbeitete, mit seiner Jacke in der Maschine hängen bleiben würde.

Martina und Otto Glathe haben anders als Janette zwar keine Familienbande nach Kaliningrad geknüpft, angerührt von der dortigen Not ist die Hilfe für die russische Region jedoch auch für die beiden eine Art Lebens-Begleitmelodie geworden. Otto Glathe war im Oktober bereits zum zehnten Mal in Kaliningrad. Jedesmal hat er Fahrzeuge für den Hilfstrupp zur Verfügung gestellt. Seinem ersten Besuch 1993 folgte schon nach kurzer Zeit ein zweiter. Die katastrophalen Zustände einer Kolchose hatten ihn betroffen gemacht, so dass er einen Lastwagen hinbrachte, der in seinem Unternehmen nicht mehr benötigt wurde.

Die Russlandfahrten bleiben für ihn Abenteuer. In diesem Jahr ging alles glatt, doch das war keinesfalls selbstverständlich. Einmal musste er beispielsweise zwei Tage lang beim Zoll warten, ein anderes Mal schleppte er ein defektes Transportfahrzeug von Russland bis nach Deutschland zurück. Kaliningrad gehört für ihn und seine Frau einfach zu den Herbstferien dazu, und sie freuen sich, dass ihr Engagement Kreise zieht, in den Dessauer Gemeinden, in der Stadt und darüber hinaus.

Dorothee Wanzek

Gemeinschaft Lumen Christi, Konto Nr. 42 14 20, Sparkasse Nördlingen, BLZ 722 500 00, Stichwort "TDH-Saretschje" (unbedingt angeben!) Bei Angabe der vollständigen Spenderadresse wird automatisch eine Spendenquittung erstellt.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 50 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 10.12.2000

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