Unsere Seelen tragen offene Wunden
Sebnitz
Zunächst einmal waren und sind wir betroffen von der Voreingenommenheit, mit der über Vorwürfe, Anschuldigungen und Verdächtigungen in den Medien berichtet wurde. In höchstem Maß waren und sind wir gefordert mit diesen für uns völlig überraschenden Ereignissen umzugehen. So sehr wie uns diese Betroffenheit anhängt, bitte ich meine Mitbürgerinnen und Mitbürger, Trauer im eigenen Denken und Fühlen über das zuzulassen, was in den letzten Tagen das Bild über unsere Stadt bestimmt hat.
Ich wünsche mir, dass Menschen Deutschland weit und darüber hinaus mittrauern darüber, wie man im Fall des Josef Abdulla Menschen vorverurteilt hat. Für uns Sebnitzer folgt nach dieser Zeit der Trauer die Aufarbeitung dessen, was wir in diesen Tagen, die durch Wut, Verwirrung und Ungewissheit geprägt sind, erlebt haben. Jeder Einzelne von uns hat hierbei eine große Verantwortung. Es liegt an jedem Einzelnen von uns wie das entstandene Bild über uns in den kommenden Tagen und Wochen in den Medien korrigiert wird.
Wir waren bisher eine beschauliche kleine Stadt mit vielen Vereinen und einem vergleichsweise reichen kulturellen Leben und vielen sportlichen Aktivitäten. Zurzeit tragen unsere Seelen offene Wunden, später werden Narben bleiben. Auch anderswo müssen und können Menschen mit ihren Verletzungen und Narben ihr Leben weiterhin aktiv gestalten.
Berücksichtigen Sie bitte auch, dass der Fall des Josef Abdulla noch nicht geklärt ist. Für mich ist es durchaus vorstellbar, dass in den Anschuldigungen ein Kern auszumachen ist, der sich uns allerdings bisher noch nicht zeigt. So haben wir allen Grund bei aller berechtigten Bestürzung zu einem fairen Umgang miteinander, auch mit Familie Kandelberg-Abdulla.
Pfarrer Norbert Mothes
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 10.12.2000