Zu Besuch bei Ex-Straßenkindern
Roncalli-Haus Magdeburg
Magdeburg (dw) - "So hätte mein Leben auch verlaufen können." Mit einer Mischung aus Schmerz und Dankbarkeit wurde dies dem 14-jährigen Daniel Koop bewusst, als er vor wenigen Wochen durch das Romaviertel der bulgarischen Stadt Burgas lief. Daniel, der in einem brasilianischen Slum zur Welt kam und schon als Baby adoptiert wurde, verbrachte gemeinsam mit zwei weiteren Schülern des Magdeburger Norbertus-Gymnasiums einige Tage in Burgas, um das dortige Caritas-Projekt "Haus Roncalli" für Straßenkinder zu besuchen. Initiatorin der Reise war Schwester Charitona Stommel, die ehemalige Religionslehrerin von Daniel Koop.
Vor vier Jahren hatte sie Daniels Schulklasse vom Haus Roncalli erzählt. Fast alle Schüler begannen einen Briefwechsel mit Kindern in Burgas. Mehrmals baten sie ihre Eltern und Magdeburger Geschäftsleute um Geld- und Sachspenden und nutzten so genannte Begegnungstage ihrer Schule für einen Verkaufsbasar, dessen Erlös für das Projekt bestimmt war.
Für Daniel war es ein ganz besonderes Gefühl, plötzlich dem 12-jährigen Belö gegenüber zu stehen, dem er vor Jahren Briefe geschrieben hatte und dessen Foto seit langem über seinem Schreibtisch hängt. Die Magdeburger Besuchergruppe, zu der neben Schwester Charitona und den Schülern Daniel Koop, Klaus-Peter Pick und Anna Hohmann auch die Referatsleiterin für Migrationsdienste beim Magdeburger Caritasverband, Monika Schwenke, und ihre Vorgängerin Gabriele Mertens gehörten, nahm sich viel Zeit, um mit den 15 Kindern im Haus Roncalli zu spielen, zu kuscheln und zu sprechen - erst mit Hilfe eines bulgarischen Reisewörterbuches, später verstand man sich auch ohne Worte.
Auf den Straßen der Stadt und insbesondere vor den Hütten des Slums sahen die Magdeburger, wie es ihren Freunden wahrscheinlich gehen würde, wenn es das Haus Roncalli nicht gäbe: Sie erlebten Kinder, die trotz der Kälte fast nackt waren, Kinder, die unter dem Einfluss von Schnüffelstoffen wie verrückt herumschrien, schwangere Prostituierte im Alter von zwölf, dreizehn Jahren, stinkende, enge Hütten, in denen sich große Familien zusammendrängten.
Diese Eindrücke motivierten die Norbertus-Gymnasiasten, sich weiter für das Haus Roncalli zu engagieren, dessen Finanzierung auf wackeligen Füßen steht. Vom Staat haben derartige Projekte so gut wie kein Geld zu erwarten, und auch die Beiträge des bulgarischen Caritasverbands decken die Kosten bei weitem nicht.
Monika Schwenke möchte das Projekt im Bistum Magdeburg noch bekannter machen. Sie wirbt nicht nur um finanzielle, sondern auch um ideelle Unterstützung für die Roma-Kinder, die in Bulgarien nach wie vor eine äußerst schlechte Lobby haben. Sie ist bereit, interessierten Familienkreisen oder Gemeinden über das Haus Roncalli zu erzählen.
Energisch wird die Caritas-Mitarbeiterin, wenn Katholiken ihr sagen: "Was soll der Aufwand, es handelt sich doch bloß um 15 Kinder ..." Wer das sagt, glaubt Monika Schwenke, kennt die Situation in Bulgarien nicht. Sie ist überzeugt: "Selbst wenn man nur einem Kind dort eine Lebensperspektive geben könnte, hätte sich das Engagement schon gelohnt."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 10.12.2000