Der Schönheit würdig werden
Gastbeitrag
In seinen "Unterhaltungen deutscher Ausgewanderter" erzählt Goethe von der Begegnung der Schlange mit dem König: "Kaum hatte die Schlange dieses ehrwürdige Bildnis angeblickt, als der König zu reden anfing und fragte: Wo kommst du her? - Aus den Klüften, versetzte die Schlange, in denen das Gold wohnt. - Was ist herrlicher als Gold? fragte der König. - Das Licht, antwortete die Schlange. - Was ist erquicklicher als Licht? fragte jener. -Das Gespräch, antwortete diese."
Der Bereich des Verwertbaren, das Gold, wird von Goethe unterschieden von dem Bereich der religiösen Erkenntnis, dem Licht. Das Verwertbare wird von der Naturwissenschaften beschrieben. Es sind die Dinge, die wir "begreifen". Der Bereich des Religiösen hingegen ist nicht leicht greifbar. "Erkennen" bedeutet hier generelle Einsichten gewinnen. Aber wie gelangt man zu diesen Einsichten? Wie wirkt das Göttliche und damit das Schöne, Wahre und Gute auf die Welt?
"Durch Überredung" sagt der Philospoh Plato vor 2500 Jahren. Das Schöne und Gute wirkt durch "Überredung" auf die Dinge der Welt. Es wirkt in einer intensiven Auseinandersetzung, in einem Geben und Nehmen gleichermaßen. Solch ein Austausch ist nur möglich in einer Atmosphäre der Offenheit und des Respekts für das Gegenüber. Sich mitzuteilen in diesem Dialog war für Goethe das Höchste, was wir Menschen erreichen können. Dabei ist das Göttliche und damit die Schönheit das Letzte, woran der denkende Verstand sich wagen kann. "Schönheit ist die Interesselose, ohne die die alte Welt sich selbst nicht verstehen wollte, die aber von der neuen Welt der Interessen unmerklich Abschied genommen hat, um sie ihrer Gier und Traurigkeit zu überlassen", schreibt der Theologe Hans Urs von Balthasar.
Schönheiterlebnisse wollen vorbereitet sein. Wir müssen uns für sie einstimmen, Zeit nehmen, abschalten. Wenn wir dazu nicht bereits sind, kommt uns die Schönheit so sehr abhanden, dass wir meinen, es hätte sie nie gegeben. Der Schönheit muss man würdig werden, um sie zu erfahren.
Wir sind mitten im Advent, erwarten die Ankunft Christi, der das Licht der Welt ist. Das Licht erhellt die Dunkelheit und ist herrlicher als Gold. Lassen Sie sich ein auf dieses Licht und machen Sie sich bereit, es zu sehen.
Dr. Joachim Klose
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 17.12.2000