Kirche hat den Auftrag der "kulturellen Diakonie"
Erfurt
Erfurt (ep) - In "einem kritisch konstruktiven Zusammenspiel" von geistlich ausgerichteten kirchlichen Gruppen und in die Gesellschaft hinein präsenter Institution Kirche sieht der Frankfurter Fundamentaltheologe und Dogmatiker Medard Kehl gute Chancen für die Zukunft der Kirche. Kirche brauche ein deutlich christliches Profil. Zugleich müsse sie aber <=den aus der Gesellschaft an sie gerichteten Ansprüchen gerecht zu werden versuchen, was nicht zuletzt eine Chance für die christliche Botschaft sei, sagte Kehl bei einem Vortrag zum Thema "Hat die Kirche als Dienstleistungsgesellschaft eine Zukunft?" in Erfurt. Zu der Veranstaltung am Kreuzgang des Erfurter Domes hatten die Erfurter Benno-Buchhandlung und die Theologische Fakultät Erfurt eingeladen.
Nach heutigem Kirchenverständnis eines Großteils der Kirchenmitglieder sei die Kirche eine Dienstleistungsgesellschaft, die prinzipiell allen Bürgern zur Verfügung steht und von deren Angebot "nach Gutdünken Gebrauch gemacht" werde. Der Jesuit sieht hier einen Auftrag "der kulturellen Diakonie für die Gesellschaft". Es gelte, "sehr wachsam die Erwartungen der Menschen wahrzunehmen" und ihnen in verständisvoller Weise "eine Kultur des Glaubens" vorzuschlagen, wie es einige französische Bischöfe formulierten.
Kehl sprach sich "für eine nach außen erkennbare kirchliche Eigenkultur" aus, "die sich als Korrektiv, aber nicht als Gegenkultur zur Gesellschaft versteht". Diese könne in Form eines "Netzwerks spirituell profilierter Gruppen und Zentren" jenseits "eines absolut gesetzten kirchlichen Territorialprinzips" (Pfarrei, Bistum) über Ländergrenzen hinweg praktiziert werden. Eine solche gepflegte, kirchliche Eigenkultur, zu der es gehöre, "absichtslos nach Gott Ausschau zu halten", dürfe aber die moderne Welt und damit auch die historisch gewachsene Sozialform der Kirche nicht dämonisieren. Und solche Gruppen dürften sich nicht von Territorialgemeinde und Gesellschaft abschließen. Dennoch sei eine Besinnung auf die christliche Identität existenznotwenig, da die Kirche "immer mehr in einen Anpassungsdruck gerate, und dies auch in Kreisen derer, die aktiv in der Glaubesnverkündigung tätig sind.
Viele Menschen teilten immer weniger die genuin christliche Lebenspraxis im herkömmlichen Sinne, wollten aber auf die Präsenz der Kirche nicht ganz verzichten, sagte der Frankfurter Fundamentaltheologe. So werde den großen christlichen Kirchen in Phasen der Lebenswenden und in Grenzsituationen des Lebens eine "hohe Kompetenz zugetraut". Zwei Drittel der Bevölkerung suchten zu Familienhöhepunkten wie Geburt, Eheschließung oder Tod eines Angehörigen die Hilfe der Kirche, weil sie sich "angesichts der letztlich nicht zu verdrängenden Zerbrechlichkeit des Daseins der Hoffnung versichern wollen, dass es eine schützende Macht über ihrem Leben geben möge". Nicht zuletzt in liturgischen Formen werde eine "umfassende Geborgenheit" gesucht. Deshalb gelte es, kirchlicherseits hier viel Fantasie zu investieren. Kehl: "Geborgenheit ist heute wahrscheinlich die entscheidende Chiffre für das, was nach christlichen Verständnis mit Heil gemeint ist." Die Kirche habe in dieser Hinsicht mit ihrer Botschaft "Es gibt erfülltes Leben trotz vieler unerfüllter Wünsche" viel anzubieten. In der Verbindung von liturgischen Angeboten und ihrer lebenspraktischen Ausdeutung habe die Kirche große Chancen, die Menschen zu erreichen, so Kehl. Mit ihrer "eschatologischen Kompetenz" könne die Kirche Menschen auf die Frage nach einem durchtragenden Sinn "absichtslos die Hoffnung auf das Leben in der kommenden Welt bezeugen" und dies in einer auf Diesseitigkeit ausgerichteten Wirklichkeit.
Im Anschluss an den Vortrag wurde unter anderem die Frage diskutiert, inwieweit kirchliche Gruppierungen in der Gefahr stehen, "die Kirche unpolitischer zu machen". Es sei gerade eine Stärke der deutschen verfassten Kirche, sich in gesellschaftliche Fragen einzumischen.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 17.12.2000