Helge Warme lässt sakrale Kunstwerke aus Glas entstehen
Künstlerportrait
Görlitz/Berlin - Türkisblaue Wasserwogen, darunter vereinzelt ein paar rote Feuerzungen, ganz oben in Weiß schemenhaft die Konturen einer Taube: Seit drei Jahren ist diese Darstellung des Pfingstwunders auf dem rückwärtigen Fenster der Görlitzer Hedwigskirche zu sehen. Ein Jahr später, also 1998, zog eine gläserne Christusfigur an einem verrosteten Stahlkreuz in das Gotteshaus ein. Beide Werke haben eines gemeinsam: Sie stammen von dem Berliner Glasgestalter Helge Warme.
Begonnen hat seine künstlerische Laufbahn Anfang der 80er Jahre, ebenfalls in einer katholischen Kirche. Warme war damals zu Besuch bei Freunden in Meiningen. Der Glasgestalter Christof Grüger hatte für das neu gebaute Gotteshaus der Stadt Wände aus Betonglas geschaffen, eine Technik, die auch in der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche Anwendung fand.
Auf Vorschlag eines Freundes besichtigte Warme den Meininger Sakralbau und war, wie er im Nachhinein sagt, von der "Farbgewalt und Farbmacht" der Fenster überwältigt, vereinbarte ein Treffen mit Grüger und orientierte sich bei seinem Malereistudium an der Kunsthochschule in Berlin-Weißensee immer mehr in Richtung Glas.
Rund ein Jahrzehnt ist der 38-Jährige nun freiberuflich tätig. Außer St. Hedwig in Görlitz tragen noch neun weitere Kirchen die Handschrift des evangelischen Christen. Altarfenster, Ambo, Eingangstür, Kruzifix, Kerzenleuchter: Warme setzt Glas auf vielfältige Weise ein. Wenn er in seinem Hinterhaus-Atelier in Berlin-Pankow nicht gerade ein Fenster oder ein dreidimensionales Objekt, etwa eine gläserne Himmelsleiter, entwirft, denkt er sich auch schon mal geeignete Motive für eine Hauswand aus, die nach seinen Vorstellungen bemalt werden soll. Bei einem Symposium im Senegal bediente er sich sogar organischer Materialien wie Hirse, Hanf und Eukalyptus. Selbst auf den Schwarzen Kontinent hat er aber Glas mitgenommen, schließlich ist "mit Farblicht" zu zeichnen für ihn die "größte Verzückung".
Ein Maler, erläutert Warme, trage immer nur Farbe auf. Damit lasse sich aber nie die Leuchtkraft von lichtdurchfluteten Farbgläsern erreichen, meint der Künstler und deutet auf seine Farbglaspalette, einen kleinen Holzrahmen, der vor einem der Atelierfenster hängt. Rote, gelbe, grüne und blaue Glasplättchen stecken darin, nach Farben sortiert, in sechs Reihen übereinander, zeigen dort die kräftigsten Farbtöne, wo das Tageslicht direkt auf die winzigen Scheiben trifft.
Rechts daneben erstreckt sich der Entwurf eines Kirchenfensters, in Originalgröße auf dünnen weißen Karton gezeichnet, wie der Papierhintergrund eines Fotostudios die ganze Wand entlang bis weit über den Fußboden. Teilweise sind die schwarz umrandeten Felder schon mit Farbe gefüllt, die weißen Flächen dazwischen lassen eine Figur erahnen. Darüber ist ein große hellgelbe Kugel zu erkennen, laut Warme ein Symbol für die Erde oder die Sonne - je nach Standpunkt des Betrachters.
Bis Ende Februar soll dieses Fenster - ebenso wie die beiden links und rechts daneben - fertig sein. Dann wird durch das bunte Glas hindurch Licht in den Altarraum der evangelischen Stadtkirche in Forst fallen.
Nur vier Kilometer entfernt, in Mulknitz, hat Warme vor gut sieben Jahren sein "erstes Glasfenster, das in einen Kirchenraum eingebaut wurde", geschaffen. Es zeigt die Himmelfahrt Christi. In den Jahren danach folgten drei Fenster in der neu gebauten Krankenhauskapelle in Niesky über den Gang nach Emmaus, das bereits erwähnte Pfingstfenster in St. Hedwig sowie eine Darstellung der sieben Freuden und Leiden der Gottesmutter für die katholische Kirche St. Maria in Storkow.
Bevor sich Warme an konkrete Entwürfe für solche Themenfenster macht, liest er zunächst Auslegungen der entsprechenden Bibelstellen oder führt lange Gespräche mit Geistlichen, häufig zum Beispiel mit dem Berliner Pfarrer Gerhard Rosenau. Dann geht der diplomierte Glasgestalter für sich "in Klausur", setzt sich an seinen Schreibtisch und fängt an zu grübeln, geht zur Wand, skizziert erste Einfälle, verwirft den einen oder anderen wieder.
Irgendwann ist sich Warme dann sicher, die richtige Idee zu haben. Wie eine Eingebung sei sie plötzlich da, berichtet er. Wenn nun auch noch die Gemeinde, das Bauamt und die Denkmalpflege ihr Okay geben, ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis das Gotteshaus seine neuen Fenster erhält - vorausgesetzt, auch das Geld reicht für das Vorhaben.
Manchmal verbinde sich in seinen Fenstern "prophetische Weisung mit authentischer Erfahrung", erklärt Warme. In der Gubener Klosterkirche beispielsweise hat er kurz nach dem großen Oderhochwasser 30 Fenster zur Offenbarung des Johannes geschaffen. Die schwarzweiß gehaltene Darstellung der apokalyptischen Wasser habe für die Menschen dort eine besondere Bedeutung, ja einen unmittelbaren Bezug zu ihrem Leben, ist sich der Künstler sicher. Ihnen sei nämlich bewusst geworden, welche Gefahr bis hin zur Existenzbedrohung von Wassermassen ausgehen könne.
Generell will Warme aber den Betrachtern seiner Fenster nie bestimmte Inhalte aufdrängen. Der Glasgestalter teilt in diesem Punkt die Ansicht eines Kollegen, der einmal über sich sagte: "Ich bin doch kein Briefträger, der Botschaften zu verteilen hat." Was jemand in einem Kirchenfenster erkenne, hängt Warme zufolge vom Erfahrungsschatz, Wissensstand, momentanen Befinden und persönlichen Interesse jedes Einzelnen ab. Für ihn zähle aber ein wissenschaftliches Gutachten über seine Arbeiten genauso viel wie ein einfaches "Das gefällt mir!" oder "Das tut mir gut." "Ich möchte Menschen erreichen", sagt der Glasgestalter, "Bäcker, Türsteher und Professorin gleichermaßen."
Karin Hammermaier
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 17.12.2000