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Auf zwei Minuten

Heute ist euch der Retter geboren

Pater Damian

Pater Damian MeyerDie vielen Krippendarstellungen, die Herbergssuche, manche Weihnachtslieder, Sitten und Bräuche um das große Fest herum, sie sprechen unser Gemüt an. Aber sie bringen auch die Gefahr mit sich, Christi Geburt allzu romantisch darzustellen und zu verniedlichen. Unter dem Schutt unserer tradierten Vorstellungen und Bilder muss die eigentliche Botschaft von Weihnachten immer wieder ausgegraben und ans Licht gebracht werden: "Heute ist euch der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr" (vgl. Lk 2,11).

Die beiden Evangelisten Matthäus und Lukas, die von der Geburt Jesu berichten, geben eine kurze und nüchterne Darstellung des Ereignisses. Ihnen kommt es nicht auf historische Details an, sondern auf die Person des Kindes und seine Bedeutung für die Menschen.

Matthäus erwähnt nicht die Futterkrippe und die Hirten auf dem Feld, die zur Krippe eilen. Er überliefert die Geschichte der Sterndeuter aus dem Osten, die dem "neugeborenen König der Juden" huldigen und ihm Gaben darbringen. Die Tradition hat dann aus diesen Sterndeutern drei Könige mit Namen und von verschiedener Rasse gemacht.

Das Bild von Beate Heinen (1980) trägt den Titel "Erscheinung des Herrn". Die Szene spielt sich auf einem Bahnsteig ab. Auf der Bank sitzt eine schlicht gekleidete junge Frau mit einem Baby auf dem Schoß. Hinter ihr steht ein Mann, der sinnend in die Ferne schaut, wohl Josef. Von links kommen zwei Männer auf die Mutter mit dem Kind zu. Der erste stützt sich beim Gehen auf einen Stock. Er ist wahrscheinlich behindert und geht mit gekrümmtem Rücken. Er streckt ehrfürchtig und (hilfesuchend ?) seine leere Hand aus zu dem Kind. Der zweite Mann ist Schwarzer. Er trägt eine Reisetasche in der Rechten. Unwahrscheinlich, dass er ein Geschenk für das Kind mit sich trägt. Sein Blick ist ängstlich und suchend. Auf dem Trittbrett der offenen Tür des Waggons steht ein junger Mann mit einer Zigarette im Mund. Er schaut ziemlich desinteressiert zu. Da er etwas höher steht, hat er einen guten Überblick über die Szene. Vielleicht kann er sich noch nicht entscheiden, ob er sich den beiden anderen anschließen oder wieder in den Zug einsteigen soll.

Der Stern, der über dem Waggon steht, deutet an: Hier handelt es sich um mehr als eine Alltagsszene auf einem Bahnsteig. Beate Heinen hat das "Heute" der Botschaft "Heute ist euch der Retter geboren" in unsere Zeit übersetzt. Die Erscheinung des Herrn und die Begegnung mit dem Erlöser kann für die Menschen an verschiedenen Orten und in verschiedenen Situationen geschehen. Immer sind andere Menschen die Vermittler dieser Begegnung mit dem Mensch gewordenen Gott.

Jesus hat sich als der Weltenrichter mit den Armen, Unterdrückten und Entrechteten identifiziert: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Mt 25,40). Mit anderen Worten: "In diesen Armen seid ihr mir begegnet!"

Millionen Menschen unserer Tage sind unterwegs als Flüchtlinge und Vertriebene, als Verfolgte und Asylsuchende. Sie haben keine feste Bleibe. Der Bahnsteig ist Symbol für ihre Existenz. Und hier treffen sie auf Jesus, der auch fliehen und einige Zeit in der Fremde leben musste (Mt 2). Und wer Jesus begegnet und wem er begegnet, für den geschieht Weihnachten, da er einen Schritt vorwärts geht auf dem Weg zu seiner Menschwerdung.

P. Damian Meyer OP

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 52 des 50. Jahrgangs (im Jahr 2000).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 24.12.2000

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