Weihnachten aus Sicht eines Pfarrers
Herzberg
Herzberg - Übervolle Terminkalender, Gedränge in den Einkaufszentren, "Jingle Bells" an jeder zweiten Straßenecke: Obwohl viele Zeitgenossen über Stress und Hektik in der Vorweihnachtszeit klagen, erscheint es den meisten doch selbstverständlich, am Fest selbst von beruflichen Aufgaben und lästigen Alltagspflichten entbunden zu sein. Auch wer mit der Geburt Christi wenig anzufangen weiß, freut sich über ein paar freie Tage kurz vor dem Jahreswechsel.
Manche Menschen aber haben gerade an Weihnachten einen besonders langen Arbeitstag zu bewältigen, beispielsweise Gemeindepfarrer wie Wolfgang Golla: Normalerweise hält er an Heiligabend drei Gottesdienste, einen um 15 Uhr für Familien mit Kindern, einen um 17 Uhr in der Außenstation Schlieben und dann noch abends um halb elf die Christmette in der Herzberger Pfarrei "Fronleichnam". Wenn der Heilige Abend - wie in diesem Jahr - auf einen Sonntag fällt, kommen an diesem Tag sogar vier heilige Messen zusammen.
Für eine private Feier im Pfarrhaus bleibe da "natürlich nicht allzu viel Zeit", berichtet der Geistliche. Zwischen der 17-Uhr-Mette und dem Gottesdienst am späten Abend nimmt er zusammen mit Christine Prade, seiner langjährigen Haushälterin, das Abendbrot ein, traditionell Würstchen und Kartoffelsalat. Danach bleiben beide noch ein wenig am Tisch sitzen, unterhalten sich und hören Weihnachtsmusik, zum Beispiel Werke von Händel.
Auch gegenseitiges Beschenken gehört für Golla mit dazu. Ausgesucht wird meist etwas Praktisches, ein Pullover etwa oder eine Stehlampe. Eine Stunde vor Beginn der zweiten Christmette zieht sich der Pfarrer dann noch einmal zurück und bereitet sich geistig auf den letzten Gottesdienst in dieser Heiligen Nacht vor.
Weihnachten verlaufe für ihn "ohne Hektik, ohne große Aufregung in Ruhe und Gelassenheit", versichert der gebürtige Schlesier. Zwar sei dieses Hochfest "mit einer gewissen Mühe und Anstrengung verbunden", es mache ihn aber andererseits auch "sehr froh": "Das sind Tage, die mehr beschenken als fordern. Die Atmosphäre und Botschaft dieses Festes lassen mich die Gegenwart und Nähe Gottes stärker als sonst erfahren."
Auch die Kirchgänger scheinen an diesen Tagen aufgeschlossener für das Evangelium zu sein. Golla: "Die Menschen kommen in größerer Zahl zum Gottesdienst, sie kommen aber auch mit einer größeren Bereitschaft und Offenheit."
Weihnachten gilt als "Fest der Familie". Vermisst ein Pfarrer in solchen Stunden Frau und Kinder? "In gewissem Sinne ist meine Familie die Pfarrgemeinde. Zu ihr habe er an diesen Tagen sehr, sehr viel Kontakt durch die zahlreichen Gottesdienste. Außerdem werde ich oft schon am zweiten Weihnachtsfeiertag von Gemeindemitgliedern zum Kaffee eingeladen. So habe ich es nie als Mangel oder Defizit empfunden, Weihnachten ohne eigene Familie zu verbringen. Schon eher verspüre ich den Wunsch, an diesen Tagen auch einmal allein zu sein."
Als gute Gelegenheit, still zu werden, nachzudenken und zu sich selber zu kommen sieht der 60-Jährige das Schmücken des Christbaumes. Am Vormittag des Heiligen Abends hängt er immer Strohsterne und goldene Kugeln an eine 1,50 Meter hohe Silbertanne.
In diesem Jahr wird dieses Ritual aber wohl um einen Tag vorverlegt, denn um zehn Uhr beginnt die Sonntagsmesse zum vierten Advent. Und die lässt Wolfgang Golla selbstverständlich auch am 24. Dezember nicht ausfallen, selbst wenn die meisten Menschen es an diesem Tag wohl auf weniger "Dienststunden" bringen als ein Pfarrer.
Karin Hammermaier
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 24.12.2000