Einfach leben
Im Gespräch mit Ordensleuten -Teil 3: Das Gelübde der Armut

Andreas Knapp und Michael Schilling in der Küche ihrer Wohnung.
Leipzig (dw). Den Begriff "Armut" findet Andreas Knapp unpassend, wenn er über sein Leben in der Gemeinschaft der Kleinen Brüder vom Evangelium in Leipzig-Grünau spricht. "Wir bevorzugen einen einfachen Lebensstil", hält er für die treffendere Formulierung.
"Selig die Armen ..." Dieses Bibelwort sei nicht als Romantisierung der Armut zu verstehen, betont Andreas Knapp. Armut sei in der Bibel ganz klar ein Zustand, der nicht sein soll. Seliggepriesen würden diejenigen, die sich die Sensibilität bewahrt hätten für das, was Gott ihnen schenkt.
Darum in erster Linie gehe es den Kleinen Brüdern vom Evangelium, wenn sie das Ordensversprechen der Armut ablegen. "Die Fixierung auf Materielles birgt die Gefahr, zu übersehen, dass es Gott ist, der unser Leben reich macht", beschreibt der Ordensbruder, der sich der Gemeinschaft vor sieben Jahren angeschlossen hat. Um diese Erfahrung besonders intensiv machen zu können, zieht er sich von Zeit für Zeit für ein paar Tage in eine Einsiedelei zurück. In einem alten Schäferkarren oder einer einsam gelegenen Gartenlaube kann er beispielsweise besonders intensiv die Schöpfung als Geschenk wahrnehmen und sich am Glanz der einfachen Dinge erfreuen.
Seit gut zwei Jahren wohnt er mit seinen Mitbrüdern Gotthard Moser und Michael Schilling in einer Grünauer Plattenbauwohnung. Ein Auto besitzen sie nicht, ihre Jobs liegen auf unterem Lohnniveau und die meisten Einrichtungsgegenstände haben sie geschenkt bekommen. In die gemeinsame Kasse gibt jeder das hinein, was er verdient und nimmt heraus, was er braucht. Wenn etwas übrigbleibt, gehen zehn Prozent davon an die weltweite Gemeinschaft der Kleinen Brüder vom Evangelium, den Rest spenden die drei Männer -zumeist für regionale Projekte.
Ihren schlichten Lebensstil verstehen sie nicht als Selbstzweck. Im Vordergrund stünden immer die Beziehungen, zu Gott, zu den Mitmenschen und zur Schöpfung, erläutert Andreas Knapp. Jesus Christus sei kein Kostverächter gewesen, er habe durchaus auch mal auf den Putz gehauen und gefeiert -wenn es um den Aufbau von Beziehungen ging.
Auch die Kleinen Brüder verteufeln den Besitz nicht; es gehe ihnen darum, ihn so zu nutzen, dass er dem Leben der Gemeinschaft dient. "Frei und leicht" habe er sich gefühlt, als er vor dem Ordenseintritt sein Auto und viele Bücher verschenkte, erinnert sich der "Kleine Bruder". Er fühlte sich bereit für Neues, für ein Leben, das weniger von Büchern als von Begegnungen geprägt sein würde.
In den bisherigen Jahren seines Ordenslebens hatte er nie den Eindruck, dass ihm Wesentliches abgeht -nicht einmal in Bolivien. Von 2002 bis 2005 lebte er dort in einer Kommunität mit drei Mitbrüdern in einem Indianerdorf und war hautnah mit krasser Armut konfrontiert: Die Kindersterblichkeit war hoch, viele Kinder lebten auf der Straße. Sie konnten nicht in die Schule gehen, weil ihre Eltern Hefte und Stifte nicht bezahlen konnten ...Die Kleinen Brüder kümmerten sich intensiv um Straßenkinder und lebten vom Verkauf des Joghurts, den sie aus der Milch der Kühe ihrer Nachbarn herstellten.
Dass sie mit Wenigem auskommen mussten, sei von Vorteil gewesen für die Beziehungen zu den Einheimischen, schätzt Andreas Knapp ein. Die Überzeugung, dass Weiße immer Geld haben, sei in den Köpfen vieler Ureinwohner verankert. Das belaste die Beziehungen in doppelter Hinsicht. Zum einen festigten sich hierarchische Strukturen und die Abhängigkeit derer, die immer die Nehmenden seien. Zum anderen argwöhnten diejenigen, die immer wieder angepumpt würden, irgendwann bei jeder Kontaktaufnahme, das Gegenüber interessiere letztlich nur das eigene Portmonnaie. Andreas Knapp hat sich in seinen bolivianischen Jahren vor allem als Empfangender erlebt, der neue Einsichten über die weltwirtschaftliche Situation gewonnen hat, der Anteil haben durfte an einer anderen Kultur, einem anderen Umgang mit Zeit, anderen Geschichten ... "Wenn Menschen dort einladen, dann geben sie alles, dann wird das letzte Huhn geschlachtet", hat er immer wieder erfahren.
Bei seiner Rückkehr nach Deutschland hatte er zunächst Schwierigkeiten, eine Krankenkasse zu finden, die bereit war, ihn zu versichern. "So geht es vielen Menschen. Diese Erfahrung hilft mir, ihnen näher zu sein und sie besser zu verstehen", sagt der Ordensmann. Das Leben der Menschen teilen, das ist das Anliegen der Gemeinschaft im Stadtteil Grünau. Den Wohnort haben sich die Brüder nicht ausgesucht, weil die Menschen dort ärmer oder bedauernswerter wären als anderswo, sondern weil die Prägung durch die DDR-Geschichte augenscheinlich ist. Von Bevölkerungsverlust und Arbeitslosigkeit ist das Viertel überdurchschnittlich betroffen.
Die Kleinen Brüder suchen die Gemeinschaft mit unterschiedlichsten Initiativen und Gruppen, die sich für die Gestaltung des Stadtviertels einsetzen, angefangen bei der katholischen Kirchengemeinde St. Martin bis hin zum Kontaktladen der Wohnungsgesellschaft. Miteinander möchten sie zeigen, dass das Leben lebenswert ist -auch in Leipzig-Grünau. Gerade im Gespräch mit den Kollegen, die mit ihm am Fließband einer Versandbuchhandlung arbeiten, fordert sein Lebensstil immer wieder auch zum Nachdenken heraus über die Frage, worauf es im Leben wirklich ankommt.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 14.12.2007