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Aus der Region

Stete Herausforderung

Die weltanschauliche Neutralität des Staates muss permanent neu buchstabiert werden

Halle (ep). In der modernen Welt treffen Menschen unterschiedlichster religiöser und weltanschaulicher Vorstellungen aufeinander. Damit das Zusammenleben gelingt, muss der Staat seine weltanschauliche Neutralität kontinuierlich ausgestalten. Toleranz zu praktizieren kann nicht heißen, alles zuzulassen.

Der moderne Staat verhält sich weltanschaulich neutral. Er stellt nicht die religiöse Wahrheitsfrage und sichert den Angehörigen verschiedenster Bekenntnisse die Ausübung ihrer Religion und Weltanschauung. Doch wie dies in der konkreten Gesellschaft aussieht, muss kontinuierlich neu bestimmt werden. Darauf wies der Freiburger Staatsrechtler Stefan Mückl bei einer Akademie zum 60. Patronatsfest der Katholischen Studentengemeinde Thomas Morus am 24. November in Halle hin.

Den langen Entwicklungsweg bis zum weitgehend weltanschaulich neutralen Staat zeigte bei der Veranstaltung der Münsteraner Kirchenhistoriker Arnold Angenendt auf. Der emeritierte Hochschullehrer hat in diesem Jahr ein umfangreiches Buch zum Thema "Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert" vorgelegt. Angenendt machte deutlich, dass in der Geschichte Judentum, Christentum und Islam zwar "den Eintritt in ihre Religion nur frei und überlegt vollzogen wissen wollten". Beim Austritt eines Anhängers jedoch verzichtete nur das Christentum -jedenfalls bis zum Mittelalter -auf körperliche Sanktionen oder gar die Todesstrafe und setzte damit Maßstäbe für die Religionsfreiheit. Hatte doch Jesus selbst verlangt, das Unkraut mit dem Weizen wachsen zu lassen (Mt 13,29ff).

So sei es im ersten Jahrtausend nur einmal -im Jahr 385 in Trier (Priscillian und Gefährten) -zu einer Ketzertötung gekommen. (Die Praxis Karls des Großen, der die Sachsen vor die Alternative Tod oder Schwert stellte, sei möglicherweise "ein erregtes Diktat aus dem Reitsattel gewesen.)

Seit dem Mittelalter habe sich jedoch auch im christlichen Raum die Ketzerverfolgung als Zusammenspiel von kirchlicher Verfolgung und Untersuchung und weltlicher Bestrafung ausgebreitet. Da man sich von den Mächten des Himmels abhängig wusste und -um den Gotteszorn fern zu halten -den Gottesfrevel bekämpfte, seien in der katholischen wie später auch in den evangelischen Kirchen, so etwa in den Niederlanden, religiöse Abweichler mit Gewalt bekämpft und nicht selten hingerichtet worden.

Angenendt erinnerte daran, dass sich im 19. Jahrhundert die Päpste der inzwischen formulierten und geforderten Religions- und Meinungsfreiheit widersetzten. Allerdings habe es etwa mit dem Mainzer Bischof Wilhelm Emmanuel von Ketteler (1811-1877) zu dieser Zeit auch schon katholische Stimmen gegeben, die die Glaubensfreiheit einforderten. Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) habe sich die katholische Kirche dann zur Religionsfreiheit bekannt, obgleich die Freiheitsrechte aus dem Christentum hervorgegangen sind. Angenendt: "Die modernen Freiheitsrechte sind Ergebnis eines historisch verlaufenden Herausexperimentierens. An die Stelle eines vorgegebenen Kanons der Wahrheiten sind theoretisch und praktisch das Erfahren, Entdecken und Erfi nden getreten."

In dieser Situation des immer wieder nötigen "Erfahrens, Entdeckens und Erfi ndens" oder anders gesagt des Buchstabierens, was es für den Staat heißt, sich weltanschaulich neutral zu verhalten, lässt es den Staatsrechtler Mückl aufhorchen, "welche Positionen in der rechtlichen wie politischen Diskussion der Gegenwart unter Berufung auf den Grundsatz der Neutralität verfochten und eingefordert werden, etwa, wenn über den Sonn- und Feiertagsschutz oder über Ehe und Familie und andere Formen des Zusammenlebens debattiert werde. Bei der Auseinandersetzung damit, so der Staatsrechtler, "geht es nicht darum, dem Bürger vorzuschreiben, wie er sein Privat- und Intimleben zu gestalteten hat". "Originäre Aufgabe des Staates, mehr noch: seine Pfl icht ist es aber, zu unterscheiden, welche der Formen menschlichen Zusammenlebens für das staatliche und gesellschaftliche Ganze positive Auswirkungen entfalten und aus diesem Grund rechtlichen Schutz wie Förderung verdienen." Dies komme dem Staat in seiner weltanschaulichen Neutralität durchaus zu. Denn es sind vielfach religiös und weltanschaulich geprägte Überzeugungen, auf denen das gesellschaftliche Miteinander basiert, so Mückl. "Und ein gegenüber Religion, Kirche und Weltanschauung gleichgültig eingestellter Staat würde zugunsten der Areligiosität Partei ergreifen."

Begriffe wie Neutralität, Anti- Diskriminierung, Toleranz und Werte seien in der Gesellschaft zu Schlagworten mit konsensfähiger Hülle geworden, die aber nicht selten einen völlig anders gearteten Kern enthielten, so Mückl. So würden etwa unter Berufung auf bestimmte Werte in Brandenburg das Unterrichtsfach Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde für alle Schüler verbindlich praktiziert oder "die Jugendweihe ebenso massiv wie offensichtlich gezielt fi nanziell gefördert". Mückl verwies auch auf das europäische Antidiskriminierungsrecht. "Kirchliche Amtsträger, welche etwa die Lehre zu Ehe und Familie ungekürzt verkündigen, müssten mittlerweile europaweit mit rechtlichen Aktionen einschlägiger konträr eingestellter "pressure groups" rechnen. So habe sich die Spanische Bischofskonferenz einer Strafanzeige ausgesetzt gesehen, nachdem sie einen Hirtenbrief mit dem Titel "Als Mann und Frau schuf er sie" veröffentlicht hatte.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 51 des 57. Jahrgangs (im Jahr 2007).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 19.12.2007

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