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In der Trostlosigkeit Nähe schenken

Umgang mit depressiven Menschen Thema bei Studientag für Seelsorger am 23.Januar in Cottbus

Die Referenten Dr.Peter Runge und Matthias Mader Cottbus -"Ich liebe nicht, ich trauere nicht. Ich male nicht, ich spreche nicht, (...) und wenn ich es dennoch tue, dann ohne Ausdruck und Phantasie". So hat es eine depressive Frau in einem Gedicht formuliert. Der Wildauer Nervenarzt Dr. Peter Runge stellte diesen Text an den Beginn seines Vortrags, den er am 23. Januar in Cottbus beim zweiten Studientag für Seelsorger an psychisch Kranken hielt.

Im Vorjahr waren psychische Erkrankungen allgemein Thema dieser Tagung. Diesmal ging es speziell um Depressionen. Während Runge die medizinische Seite ausleuchtete, sprach der Dresdner Krankenhausseelsorger Matthias Mader über seelsorgliche Aspekte.

Menschen mit Depressionen klagten oft: "Ich kann mich nicht mehr freuen, mich interessiert nichts mehr, ich bin wie leer", erläuterte Runge. Weitere Symp-tome seien verminderter Appetit, Durchschlafstörungen, Entscheidungsunfähigkeit sowie Gedanken an den Tod. Im westlichen Kulturkreis habe durchschnittlich jeder Fünfte "min-destens einmal im Leben eine depressive Episode". Auslöser können äußere Umstände wie eine schwere Krankheit oder ein Beziehungskonflikt sein, aber auch negative Erfahrungen in der frühen Kindheit. Daneben gebe es biologische und genetische Ursachen.

Seelsorger sollten sich bemühen, einem Depressiven durch Worte und Gesten Nähe zu vermitteln, sagte der Theologe Mader den rund 20 Zuhörern aus Gemeindepastoral, Klinikseelsorge und Psychiatrie. Begleiter sollten versuchen, den Kranken zu verstehen, ohne mit ihm zu verschmelzen und zu viel Hilflosigkeit von ihm zu übernehmen. Keinesfalls dürfen sie erwarten, der Betroffene werde durch ihren Zuspruch wieder Hoffnung fassen. Dennoch sei es sinnvoll, die eigene Zuversicht zum Ausdruck zu bringen: "Gerade weil der Kranke sie nicht annehmen kann, muss ich umso mehr Hoffnung zeigen."

In den meisten Fällen seien Depressionen heilbar oder es könne zumindest eine Besserung erreicht werden. Darauf sollten Seelsorger hinweisen. Mader warnte allerdings davor, Depressiven falsche Hoffnungen zu machen nach dem Motto: "In ein paar Tagen, werden Sie sehen, ist das alles wieder vergessen." Denn, so Mader: "Da können Monate ins Land gehen."

Klagen depressiver Menschen sollten Seelsorger zulassen: "Er darf depressiv sein, der Depressive. Die Klage hat Sinn." Beim Klagen handle es sich nicht um ein bloßes Jammern. Es stelle vielmehr ein Urbedürfnis des Menschen dar und sei eine Urerfahrung des Glaubens.

Wer Menschen mit Depressionen begleite, solle nicht nur nach ausweglos erscheinenden Situationen fragen, sondern auch nach Momenten im Alltag, die nicht depressiv gefärbt seien. Diese Elemente sollten Begleiter nach Möglichkeit verstärken, selbst wenn es sich dabei um etwas so Banales wie das Blumengießen handle. Sie könnten dem Kranken zum Beispiel sagen: "Das ist gut, dass Sie das noch können."

Außerdem sollten Seelsorger nicht ängstlich sein, sie könnten depressive Menschen erst auf Suizidgedanken bringen, wenn sie danach fragten: "Man muss eher damit rechnen, das jemand solche Gedanken schon hatte, wenn er depressiv ist." Wer einen Kranken auf dieses Thema anspreche, gebe ihm vielmehr ein Zeichen, "dass er offen darüber reden kann -auch dem Seelsorger gegenüber".

Sinnvoll sei es zudem, sich gemeinsam mit Betroffenen einen Tagesplan zu überlegen und diesen mit den Angehörigen durchzusprechen. Dabei gleiche es oft einem Balanceakt, depressiv Kranke zwar zu motivieren, sie aber nicht zu überfordern. Auslöser einer neurotischen, also umweltbedingten Depression kann nämlich unter anderem eine stark leistungsorientierte Erziehung sein.

Kirchlich gebundene Depressive hätten häufig ein negatives Bild von Gott und fühlten sich übermäßig schuldig vor ihm, sagte Mader. Beim Auswählen von Bibeltexten für depressive Menschen sollten Seelsorger deshalb sehr umsichtig vorgehen, wie der Klinikseelsorger an einem Beispiel verdeutlichte. Er selbst hatte einmal das Gleichnis von den Talenten ausgesucht, eine Bibelstelle mit einer "eindeutig frohen Botschaft", wie er dachte. Ein depressiver Patient legte diesen Schrifttext hingegen negativ aus. Der Kranke sah darin quasi eine Bestätigung dafür, dass er vor Gott nichts tauge, weil er -wie der schlechte Diener -sein Talent vergrabe.

Als gut geeignet für depressive Menschen hätten sich dagegen Psalmen erwiesen, die Klage, Verlassenheit und Verloren-sein in Gebetssprache zum Ausdruck bringen. Mit Hilfe dieser Verse könnten sich Menschen mit Depressionen als Teil einer größeren Gemeinschaft erfahren, erläuterte Mader.

Die Frage, wie Depressive in eine Pfarrgemeinde integriert werden können, blieb dagegen weitgehend offen. Eine Teilnehmerin sprach über ihre Erfahrungen, wie schwierig es sei, solche Menschen zu ermutigen, an einem Treffen anderer Gemeindemitglieder -etwa einer Seniorengruppe -teilzunehmen. Mader erwähnte das Beispiel eines Ehepaares, das in einer Kirchgemeinde in Schleswig-Holstein eine Kontaktgruppe für psychisch Kranke gegründet hatte. "So etwas ist grundsätzlich denkbar, vielleicht in Zusammenarbeit mit einer ambulanten Einrichtung", sagte der Theologe, zumal sich Menschen mit leichteren Erkrankungen in Beratungsstellen oft ohnehin nicht sehr wohl fühlten.

Zu Beginn der Veranstaltung hatte der Nervenarzt Runge eingeräumt, dass es selbst für Fachleute nicht immer einfach ist, mit psychisch Kranken richtig umzugehen: "Manchmal fühle ich mich etwas hilflos, ob ich wirklich die geeigneten Worte oder Möglichkeiten gefunden habe, um einem Patienten zu helfen."

Mader berichtete, depressive Patienten reagierten meist positiv, wenn er ihnen anbiete, für sie zu beten. Dies gelte auch für die, die nicht besonders kirchlich seien. Eine "leibliche Berührung" wie das Bezeichnen mit dem Kreuzzeichen empfänden gerade schwer depressive Menschen, die ihren Körper nicht mehr als solchen wahrnähmen, als wohltuend.

Karin Hammermaier

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 5 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 01.02.2002

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