Der Papst oder Osama bin Laden?
Eindrücke aus Ghana: Spenden und Hilfsprojekte genügen nicht, um die Probleme zu lösen
Magdeburg (mh) -Zwei große Porträts stehen nebeneinander auf einer Straße in Accra, der Hauptstadt von Ghana. Das eine Bild zeigt den Papst, das andere Osama bin Laden. Ein Straßen- und Schildermaler hat sie hier hingestellt. Für Heiner Hesse ist diese Zusammenstellung nicht zufällig. "Der Papst und bin Laden -beide sind Hoffnungsträger für die Menschen hier", sagt er. Warum? "Wenn die eindringlich mahnenden Worte des Papstes von der Gerechtigkeit, die Voraussetzung für Frieden ist, auch weiterhin im Norden nicht gehört werden, dann werden auf dem afrikanischen Kontinent Gewalttäter ohne Zahl nachwachsen", sagt Hesse. Für viele Arme in Afrika sei der Islam mitunter glaubwürdiger als das Christentum mit seinen geschichtlichen Verbindungen zu Kolonialismus und Kapitalismus. Auch in Ghana sei der Islam auf dem Vormarsch, "und unter den gedemütigten Armen und Hoffnungslosen finden auch die Radikalen gewaltbereite Anhänger", berichtet Hesse.
Heiner Hesse, von dem sonst -als Geschäftsführer der Partnerschaftsaktion Ost im Bistum Magdeburg -meist im Zusammenhang mit Osteuropa die Rede ist, gehörte zu den weltkirchlich engagierten kirchlichen Mitarbeitern aus den ostdeutschen Bistümern, die im Januar für zwei Wochen Ghana besuchten Eingeladen dazu hatte das Bischöfliche Hilfswerk Misereor. Die Teilnehmer sollten so Afrika nicht nur aus Büchern und vom Fernsehen kennenlernen, sondern den Kontinent "richtig erleben, fühlen, schmecken und riechen", wie Heiner Grysar von Misereor Aachen sagte.
Zwei Wochen lang waren die Ostdeutschen in einem der ärmsten Länder der Welt unterwegs: Rund 70 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. "Wir haben die ärmlichen Bergarbeitersiedlungen um die reichste Goldmine der Welt gesehen, die Lehmhütten und die Slums am Rande der großen Städte, die weiten Wege bis zur nächsten Wasserstelle oder zur Schule", berichtet Hesse. Im Gegensatz dazu standen die Begegnungen mit den Menschen: "schöne, intelligente, fleißige, sehr freundliche Leute". Ghana ist reich an wertvollen Mineralien, hat gute Voraussetzungen für die Landwirtschaft -"es könnte ein Paradies sein". Warum es nicht so ist, erklärte den ostdeutschen Besuchern Erzbischof Peter Sarpong (Kumasi): Einen Großteil der Schuld daran trügen die reichen Nationen der westlichen Welt. Angefangen vom einstigen Sklavenhandel, der bis in die Gegenwart eine Narbe hinterlassen hat. Fortgesetzt wird er heute in subtilerer Weise -in der Abwanderung und Abwerbung von Fachkräften, vom Computerspezialisten bis zum Fußballer. Und die von den reichen Nationen diktierten Preise haben Ghana und andere Länder in die Verschuldung getrieben.
Zwar ist die Kirche in Ghana nicht so politisch wie die südafrikanische Kirche mit der Befreiungstheologie, aber wenn es um die soziale Gerechtigkeit geht, erheben auch ihre Bischöfe die Stimme, berichtet Heiner Hesse. "An uns Christen im Norden appellieren sie, dass wir uns bei unseren Regierungen für ihre Belange, für mehr Gerechtigkeit, für die Förderung der Würde des afrikanischen Menschen, für die Ausrottung der Armut einsetzen. Es liegt im eigenen Interesse der reichen Nationen, sich für den Weg der Solidarität zu entscheiden, denn nur auf diese Weise können der Menschheit dauerhaft Frieden und Eintracht gewährleistet werden." Welchen Beitrag Misereor dabei leistet, davon konnten sich die ostdeutschen Besucher vor Ort überzeugen: In allen Diözesen wurden Entwicklungsbüros eingerichtet. Jährlich fließt etwa eine Million Euro von Aachen nach Ghana. Vor Ort kümmern sich die Mitarbeiter der Bischöfe um die Hauptprobleme der Menschen. Ob Landwirtschaft, Gesundheits- oder Bildungswesen -in vielen Bereichen habe die katholische Kirche, der etwa ein Drittel der Bevölkerung angehört, Aufgaben des Staates übernommen.
Die deutschen Katholiken und ihre Hilfswerke haben viel dazu beigetragen, aber, so sagt Heiner Hesse: "Für mich war deutlich zu erkennen, dass bei allem guten Willen, bei allem solidarischen Engagement vor Ort, auch bei weiteren großherzigen Spenden und aufgestockter Entwicklungshilfe aus Deutschland und aus den anderen reichen Ländern echte Fortschritte bei der Verbesserung des Lebens der Menschen in Ghana, in Afrika, in der Dritten Welt und auch in Osteuropa nur erreicht werden können, wenn die Ursachen der Armut beseitigt werden, wenn Wirtschaft und Politik auf internationaler Ebene die Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit und der Würde aller Menschen respektieren."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 08.02.2002