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Bistum Erfurt

Den Blick für die Not anderer geschärft

Die Aktion "Freiwillig von Sozialhilfe leben" macht sensibel für den Mitmenschen

 Einen Monat von Sozialhilfe gelebt..Die Aktion "Freiwillig von Sozialhilfe leben" macht sensibel für den Mitmenschen Weimar/Altenburg (as) -"Eigentlich habe ich nicht leiden und mich nicht extrem einschränken müssen", sagt Michael Hesse aus Weimar. Der Journalist nahm an einer thüringenweiten Aktion teil, die sich mit Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen und Notleidenden solidarisierte. Unter dem Motto "Einen Monat freiwillig von Sozialhilfe leben -was wäre anders?" , versuchten die Teilnehmer -Familien, Singles, Alleinerziehende -über vier Wochen lang mit dem Sozialhilfesatz über die Runden zu kommen. Alle Ausgaben des täglichen Bedarfs, von Lebensmitteln bis hin zu Reparaturen und Vergnügungen mussten davon bestritten werden. Organisiert wurde das Ganze von der Caritas-Kreisstelle in Weimar und der Diakonie. Die Idee dazu stammt aus dem Bistum Speyer und lief in vielen Gemeinden und Gruppen als Fastenaktion. Michael Hesse beteiligte sich nicht nur an der Aktion, sondern berichtete täglich im MDR-Hörfunk darüber, erzählte über sich selbst und war an den "sozialen Brennpunkten" des Freistaates unterwegs: zum Beispiel in der Caritas-Suppenküche in Erfurt oder in der "Weimarer Tafel".

"Bei den wirklich Betroffenen stieß die Aktion aber nicht nur auf Gegenliebe", weiß Michael Hesse. Der Vorwurf: Man "spiele" hier eine Situation, die für die Teilnehmer weder real noch von Dauer ist. Wie es sei, wenn man über eine lange Zeit von Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe leben müsse, könne man auch nach dieser Zeit nicht beurteilen. Das war auch für den Journalisten ein Problem: "Wie überzeuge ich die Hörer davon, dass ich es wirklich ernst meine." Allerdings gab es auch eine Menge positive Reaktionen. Hesse: "Auf alle Fälle schärft eine solche Aktion den Blick für die Not des anderen."

Dazu hat er auch eine Geschichte parat, die er später auf Grand Canaria erlebt hat. Dort, so Hesse, sei er krank geworden und musste ins Krankenhaus. Hier habe er Antonio, einen alten Spanier, kennen gelernt. "Auch wenn wir uns nicht verstanden, haben wir doch ein innere Beziehung zueinander entwickelt", berichtet Hesse. Niemand dachte, dass der 80-jährige Antonio noch einmal entlassen würde. "Nach meinem Krankenhausaufenthalt habe ich ihn noch zweimal besucht, worüber er sich unglaublich gefreut hat", sagt Hesse. Antonio wurde wieder gesund. "Vielleicht habe ich auch ein wenig dazu beigetragen", meint der Journalist.

Die Not der anderen sehen, einen Blick dafür bekommen, was um einen herum passiert. Das war auch das Anliegen von Familie Altmann aus Obergrundstedt, bei der Aktion "Freiwillig von Sozialhilfe leben" mitzumachen. Die Familie mit zwei Kindern hatte, wie sie sagte, wohl den "günstigsten Sozialhilfesatz". Dennoch habe man vor allem Einschränkungen bei den kleinen, lieb gewordenen Gewohnheiten machen müssen. "Auf das Stück Kuchen unterwegs muss man dann eben verzichten", sagt Matthias Altmann. Seine Frau versteht die Kritik der Betroffenen an der Aktion. "Ich denke, das wirklich Zermürbende an der Situation ist, dass man nicht weiß, wann es mal vorbei ist”, sagt sie. Von Sozialhilfe zu leben, sei immer mit einem Mehraufwand verbunden: Man müsse ständig aufpassen, wo und wofür man das Geld ausgibt. Es fielen plötzlich Dinge weg, die sonst selbstverständlich sind. Dennoch: "Bei einer solchen Aktion öffnet sich der Blick für andere", bestätigt auch Matthias Hartmann. "Es wird einem bewusst, wie gut es uns eigentlich geht." Für Familie Hartmann ist es deshalb wichtig, einen Lebensstil zu führen, der auch die Verantwortung für den anderen mit einschließt. Die Frage sei, so Matthias Altmann, was man tun könne, dass die Güter auch "gerecht" verteilt werden. Im Hinblick auf die Sozialhilfe- Die Aktion stieß nicht nur auf Gegenliebe aktion hätte sich Familie Altmann noch einen "näheren Kontakt" mit den eigentlich Betroffenen gewünscht.

Der Sozialarbeiter Lars Eisert- Bagemihl nahm an einer solchen Aktion in Altenburg teil. Er empfiehlt etwas Ähnliches auch für die österliche Bußzeit. "Man wird sensibel und sieht früher hin, wenn einer Hilfe braucht", meint der evangelische Christ. "Vor allem müssen wir uns klar werden, dass jeder auf Unterstützung angewiesen sein kann", so Eisert-Bagemihl. Er bedauert, dass die meisten Menschen, die an dieser Aktion teilgenommen haben, entweder in der Sozialarbeit tätig sind oder sich ohnehin schon sozial engagieren. Einen größeren Kreis von Gläubigen aus seiner eigenen Gemeinde zum Beispiel habe die Initiative der beiden Wohlfahrtsverbände nicht erreicht.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 6 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 08.02.2002

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