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Wie eine Taube, die zur Sonne fliegen darf

Eine geistliche Freundschaft verband die Zwillinge Scholastika und Benedikt von Nursia

 Die heilige Scholastika in einer mittelaterlichen Darstellung"Nicht wahr, wenn du einmal groß bist, dann wirst du Gott bitten, dass er dich alles lebendig machen lässt, auch die Menschen", sagte die kleine Scholastika zu ihrem Zwillingsbruder Benedikt. Die Legende erzählt, dass die spielenden Kinder eines Tages beobachteten, wie sich eine Taube im Gartenhäuschen verfing. Bei dem verzweifelten Versuch, sich zu befreien, stieß das Tier immer wieder mit Kopf und Flügeln gegen die Wand, bis es tot zu Boden fiel. "Sieh, Benedikt, es hat sich erschlagen. Kannst du es wieder lebendig machen", trauerte Scholastika. "Das kann nur Gott", erwiderte der Knabe. Dann nahm er aber den flaumweichen Körper in seine Hände und überströmte es eine Weile mit dem Hauch seines Mundes. Das betäubte Tier öffnete wieder die Augen. "Es lebt", jauchzte Scholastika, setzte die Taube auf die Hand und hielt es beim Fenster gegen die Sonne. "Du musst immer froh sein, wie eine Taube, die zur Sonne fliegen darf", sagte Benedikt zu seiner Schwester.

Am 10. Februar gedenkt die Kirche der heiligen Scholastika. Ihre Geschichte kennt die Nachwelt allerdings nur durch die Schilderungen Papst Gregors des Großen. Die Zwillinge stammen aus Nursia, dem heutigen Norcia, an der Grenze zwischen Umbrien und dem Sabinerland. Kurz nach der Geburt der Kinder starb die Mutter, der hart betroffene Vater Eutropis blieb für den Rest seines Lebens Witwer. Von ihrer Amme Zyrilla, so heißt es, lernte Scholastika alles, was sie für das Leben brauchte. Mit herzlicher Liebe, berichtet Papst Gregor, hing sie an ihrem Bruder und empfand oft Schmerz darüber, dass ihre Erziehung streng geteilt war. Manchmal durfte sie mit dem nachdenklichen und besinnlichen Knaben im Garten spielen. Am vertrautesten waren ihnen die Vögel und die Blumen.

Während Benedikt sich schon früh seinen Studien und dem monastischen Leben widmete, wendet sich seine Schwester der praktischen Nächstenliebe im Dienst an den Alten und Kranken zu. Sie ist die treue Gefährtin des Bruders, versteht sein Ringen um das Mönchsideal, richtet ihm aus seinen Enttäuschungen auf und unterstützt sein Werk durch ihr Gebet. Als Benedikt seine Brüder auf dem Berg Montecassino sammelte, folgte sie ihm, um in seiner Nähe zu bleiben. Nach der Überlieferung lebte sie zunächst im Kloster Roccabotte in Subiaco, danach in Plumbariola bei Montecassino. Einmal im Jahr sollen sich Benedikt und Scholastika auf einem stillen Gehöft zwischen Cassino und Plumbariola zu geistlichen Gesprächen getroffen haben. Ihre letzte Begegnung dauerte eine ganze Nacht, weil plötzlich ein Unwetter aufzog. Gregor der Große berichtet, dass dies auf einen Gebetswunsch Scholastikas geschah.

Aus dem Bericht des Papstes lässt sich nur erahnen, was sich in jener Nacht zugetragen hat. Scholastika ahnt, dass ihr Ende bevorsteht, teilt es Bendikt aber nicht mit. Als er sie wieder verlassen will, fleht sie ihn an: "Geh nicht fort von mir, wenn jetzt die Nacht hereinbricht! Lass uns bis zur Morgensonne von den himmlischen Freuden erzählen!" Benedikt ist verwundert über seine Schwester. "Wie kannst du nur so etwas sagen, Schwester. Es ist unmöglich, dass ich die Nacht außerhalb des Klosters verbringe." Sie widerspricht ihm nicht. Sie möchte ihren Bruder nicht von der Regel abbringen. Dennoch bestürmt sie den Himmel mit Gebeten. Nach einigen Minuten verfinsterte sich der Himmel, ein heftiger Regen geht nieder, Blitze durchzucken die Landschaft -unmöglich, in die Nacht hinauszugehen. Benedikt wurde wütend: "Schwester, was hast du getan?" Scholastika aber zieht den Mönch lächelnd auf seinen Platz zurück: "Siehst du, als ich dich bat, wolltest du nicht. Nun habe ich Gott gebeten, und er hat mich sofort erhört. Nun gehe in dein Kloster zurück und lass mich allein, wenn du kannst." Dagegen ist selbst der strenge Benedikt machtlos: Er bleibt, und es wird ein langes Abschiednehmen.

Drei Tage nach diesem Ereignis, so Papst Gregor weiter, befand sich Benedikt in seiner Zelle, als ihn ein "heiliger Schauer" überkam. Er sah die Seele seiner Schwester, die in Gestalt einer weißen Taube in die Höhe flog. "Du musst froh sein wie eine Taube, die zur Sonne fliegen darf", rief Benedikt ihr nach. Einige Mönche trugen den Leichnam nach Montecassino. Benedikt bestattete dort seine Schwester in einer Felsengruft, die er für sich selbst hatte hauen lassen. Gregor der Große schreibt: "Es ist nicht zu verwundern, dass die Frau, die so lange sich gesehnt hat, ihren Bruder zu sehen, in jener Stunde mehr vermochte als er selber. Denn da nach dem Wort des heiligen Johannes Gott die Liebe ist, so war es nach seinem Urteil recht und billig, dass sie, die mehr liebte, auch mehr vermochte!"

Andreas Schuppert

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 6 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 08.02.2002

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