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Auslaufmodelle oder bis heute Tragsäulen vieler Gemeinden?

Wie sich die Situation von Familienkreisen im Bistum Görlitz durch die Wende verändert hat

Wie sich die Situation von Familienkreisen im Bistum Görlitz durch die Wende verändert hatGörlitz/Hoyerswerda/Lauta/ Spremberg (kh) -Einen Vortrag über ein religiöses Thema hören, hinterher darüber diskutieren und einfach noch bei einem Gläschen Wein zusammensitzen: Zu DDR-Zeiten war es für viele Christen in der ostdeutschen Diaspora selbstverständlich, sich regelmäßig in Familienkreisen zu treffen. Seit der Wende finden solche Zusammenkünfte, wenn überhaupt, unter ganz anderen Rahmenbedingungen statt. Der TAG DES HERRN hat deshalb im Bistum Görlitz nachgefragt, ob Familienkreise heute als Auslaufmodelle gelten oder nach wie vor wichtige Tragsäulen der Gemeindearbeit bilden.

"Bei uns in Lauta sind diese Kreise nicht im Rückgang", sagt beispielsweise Pfarrer Georg Walter. In seiner 400-Seelen- Gemeinde gibt es neben einer Frauen- und einer Seniorengruppe zwei Familienkreise, einen für jüngere und einen für ältere Paare. "Für mich ist das seit Jahrzehnten eines der Hauptanliegen, dass Menschen sich über den Gottesdienst hinaus in Kreisen finden", erläutert Pfarrer Walter. "Man kann als Christ nicht alleine leben. Das Typische des Christseins ist das Miteinander."

Martina und Rainer Pyschny aus Hoyerswerda haben die Erfahrung gemacht, dass dieses Miteinander in den vergangenen Jahren schwieriger geworden ist, zumindest was ihren Familienkreis betrifft. Die Eheleute schlossen sich vor zwanzig Jahren einem solchen Kreis an, als sie von Kamenz nach Hoyerswerda zogen. Bis zur Wende kam die Gruppe einmal im Monat zu thematischen Abenden zusammen, heute nur noch etwa fünfmal im Jahr.

Die Treffen finden seltener statt, weil die Paare bedingt durch die Kinder -und zum Teil auch durch ein eigenes Haus -stärker eingespannt sind als früher, erläutert Rainer Pyschny. Daneben spielt das vielfältige Angebot an anderen Veranstaltungen eine Rolle: "Es ist immer überall was los. Die Kirche ist nur noch ein Anbieter unter Hunderten in dieser liberalen Gesellschaft."

Und die Kirche stellt heute keinen Ort mehr dar, an dem Opposition zum Staat betrieben wird. Auch deshalb haben die Familienkreise an Bedeutung verloren. Denn Pyschnys und viele andere schätzten die Zusammenkünfte mit Gleichgesinnten zu DDR-Zeiten nicht zuletzt deshalb, "weil wir da mal sagen konnten, was wir dachten, und auch mal was erfahren haben, was wir vom Staat nie erfahren hätten."

Gelegenheit, sich auszusprechen, bieten Familienkreise bis heute. Als trennend empfinden Martina und Rainer Pyschny jedoch manchmal die sozialen Unterschiede, die sich nach der Wiedervereinigung herausgebildet haben: "Zum Beispiel wenn es um den Urlaub geht, da sprechen andere über Dinge, bei denen können wir gar nicht mitreden. Die stehen für uns überhaupt nicht zur Debatte." Aufgeben wollen Pyschnys ihren Hauskreis aber auf keinen Fall, denn, so Rainer Pyschny: "Wir sind froh, dass wir uns haben, weil sich über die vielen Jahre ja auch freundschaftliche Bande ergeben haben."

Pfarrer Wolfgang Kresák sähe es gern, wenn in der Görlitzer Dompfarrei nicht nur die alten Familienkreise weiterbestehen, sondern auch neue dazukommen würden. Damit hat er sich ein hohes Ziel gesteckt, denn viele junge Menschen ziehen wegen der hohen Arbeitslosigkeit aus Görlitz weg -eine Entwicklung, die hier und da auch für bestehende Hauskreise das Aus bedeutet. Familien, die bleiben, haben oft recht unterschiedliche Interessen, wie Pfarrer Kresák festgestellt hat. Während die eine gerne Sport treibt, hat die andere eine Vorliebe für Musik und Theater. Zum Teil hätten in Frage kommende Familien auch einfach nicht das Bedürfnis, sich in einem Hauskreis zu treffen, etwa weil sie schon einem Verband angehören, der nach der Wende neu gegründet wurde, oder im Domchor mitsingen. Seelsorgeamtsleiter Alfred Hoffmann nennt die hohe Arbeitsbelastung im Beruf als einen weiteren Umstand, unter dem Familienkreisen heute leiden.

Pfarrer Hubert Seewald sieht die Sache mit den Familienkreisen ein wenig anders. Er hält es nicht unbedingt für erforderlich, dass sich Familien in Hauskreisen zusammenfinden. Als Pfarrer von Weißwasser machte er die Erfahrung, dass aus solchen Kleingruppen schnell in sich geschlossene Freundeskreise werden, die nicht mehr bereit sind, neue Mitglieder aufzunehmen. Seewald befürwortet deshalb offenere Gruppen wie die Kolpingsfamilie. Hauskreise eigneten sich dagegen gut dafür, "Zuzüge aufzufangen". Deshalb will der Geistliche in seiner neuen Gemeinde, der Görlitzer Pfarrei Heilig Kreuz, einen Kreis für Spätaussiedler aus Schlesien ins Leben rufen, um sie in die Gemeinde zu integrieren.

In Spremberg ist gerade ein neuer Familienkreis im Aufbau. Die Initiative dazu ging von Monika und Ramon Conrad aus: Ihnen war es zu wenig, anderen Gemeindemitgliedern "bloß am Sonntag oder an anderen Feiertagen Guten Tag zu sagen", wie es Ramon Conrad formuliert. Deshalb schlossen sie sich mit vier anderen Paaren zusammen, um mit ihnen einmal im Monat über Fragen zu sprechen, die im Gottesdienst offen bleiben, und gemeinsam etwas zu unternehmen. Für den ersten Mai ist zum Beispiel eine Radtour geplant. Auch ein eigenes Kinderangebot gibt es bereits: Die sechs Jungen und Mädchen treffen sich jede Woche zu einer privaten "Frohen Herrgottsstunde", die eine Frau aus dem Kreis gestaltet.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 8 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 22.02.2002

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