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Nicht alle Möglichkeiten genutzt

Der Kirchenhistoriker Josef Pilvousek über die katholische Kirche in der DDR

Im Zwiespalt: In katholischen Gebieten seien zu DDR-Zeiten erstaunlich viele Jugendliche zur Jugendweihe gegangen, sagt Pilvousek und das, obwohl die Kirche die Teilnahme offiziell als Sünde gegen den Glauben betrachtete.Cottbus (kh) -"Der Christ sitzt in der Löwengrube. Er wird den Löwen aber weder streicheln noch am Schwanz ziehen." So hat der frühere Berliner Erzbischof Kardinal Alfred Bengsch die Situation der katholischen Kirche in der DDR beschrieben.

"Kirche in der DDR" lautete auch der Titel eines Seminars in der Reihe "Schwachstellen der Kirchengeschichte", das am 22. und 23. Februar im Cottbuser St.-Johannes-Haus stattfand. Es sprachen der Erfurter Kirchenhistoriker Josef Pilvousek sowie Andrea Wilke vom Seminar für Zeitgeschichte an der Theologischen Fakultät Erfurt.

Pilvousek nannte zunächst mehrere Gründe für das "übergroße Interesse" an der katholischen Kirche in der DDR, das sich in den zahlreichen Veröffentlichungen zu diesem Thema seit der Wende gezeigt habe. Eine Ursache für dieses Interesse sieht Pilvousek darin, dass die Untersuchung diktatorischer Systeme -dazu zählt er die DDR -für Forscher "immer spannend" sei, "besonders wenn es sich um die Darstellung von Kirchen handelt, die an sich nicht in solche Systeme passen". Als weiteren Grund nannte er die Öffentlichkeitsarbeit der katholischen Kirche in der DDR, durch die diese Kirche eine "weithin unbekannte" geblieben sei.

Die meisten Arbeiten hätten jedoch zum Ziel, die katholische Kirche in der DDR zu kritisieren oder zu verteidigen. Zu drei der erhobenen Vorwürfen nahm Pilvousek Stellung: Die Behauptung, dass die katholische Kirche eine Trittbrettfahrerin der friedlichen Revolution gewesen sei, entkräftete er mit dem Hinweis darauf, dass unter den Katholiken ein höherer Prozentsatz als unter den Protestanten an den Montagsdemonstrationen teilgenommen habe. Pilvousek fügt aber hinzu: "Dass die evangelische Kirche da viel mutiger war, ist gar keine Frage."

Eindeutig ist Pilvouseks Position zu der These, die katholische Kirche habe sich aus allen gesellschaftlich relevanten Problemen herausgehalten. Pilvousek: "Eine völlige gesellschaftliche Abstinenz der katholischen Kirche in der DDR hat es nie gegeben." Allerdings sei gesellschaftliche Präsenz von Kirche in einem atheistischen Staat "nur begrenzt möglich" gewesen, denn es habe die Gefahr der Vereinnahmung bestanden.

Breiten Raum nahm die Darstellung des Verhältnisses von Staatssicherheit und Kirche ein. Ein Vorwurf, der der katholischen Kirche in der DDR gemacht wurde, lautet, sie sei zu sehr in die Machenschaften des Staatsapparates verstrickt gewesen. Die Wissenschaftlerin Andrea Wilke erläuterte in diesem Zusammenhang, wie das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) versuchte, Katholiken als inoffizielle Mitarbeiter, so genannte IM, zu gewinnen.

Im Fall eines jungen Mannes, der FDJ-Mitglied war und vor hatte, aus der Kirche auszutreten, habe das MfS sogar erreicht, dass er dem Staat zuliebe in der Kirche blieb und in Erfurt Theologie studierte mit dem Ziel, Priester zu werden. Zur Weihe sei es jedoch nicht mehr gekommen, weil der junge Mann zuvor beschlossen habe zu heiraten.

Nur wenige Katholiken waren als IM tätig

Insgesamt waren Wilke zufolge jedoch sehr wenige Katholiken zu einer Zusammenarbeit mit dem MfS bereit -und das, obwohl dort "die meisten Gelder in Richtung Kirchenunterwanderung geflossen" seien. Bei den Geistlichen, die zielgerichtet mit dem MfS kooperierten, hätten verschiedene Beweggründe eine Rolle gespielt -bis hin zu dem Bestreben, für die Kirche dabei etwas "herauszuholen". Dies sei jedoch in der Regel nicht gelungen. Pilvousek wies darauf hin, dass Personen, die von der Kirche beauftragt waren, mit dem MfS zu verhandeln, "ohne ihr Wissen und Zutun" als IM geführt wurden. Vehement sprach sich der Kirchenhistoriker dagegen aus, die katholische und die evangelische Kirche in Bezug auf ihre Kooperation mit dem MfS zu vergleichen, da dies zu Arroganz oder Selbstgerechtigkeit seitens der Katholiken führen könne. "Und zu beidem haben wir keinen Grund", so Pilvousek. Die Ursache, warum diese Gegenüberstellung zu Ungunsten der Protestanten ausfallen würde, sieht er in der Struktur der evangelischen Kirche: "Die haben immer die Türen offen gelassen. Da konnte jeder reinkommen."

Bezüglich Widerstand und Konformismus der katholischen Kirche gegenüber dem SEDStaat sagte Pilvousek, dass es oppositionelles und widerständiges Verhalten bei einzelnen Kirchenmitgliedern gegeben habe, wenngleich dies nicht immer religiös motiviert gewesen sei. Für die Gesamtkirche gelte das aber nicht. "Konfliktvermeidung bei gleichzeitigem nonkonformen Verhalten" sei der "kleinste gemeinsame Nenner" der katholischen Kirche in der DDR beim Umgang mit Staat und Partei gewesen. Dies habe Kardinal Bengsch, der diese Kirche wie kein anderer ihrer Bischöfe geprägt habe, immer wieder in der eingangs erwähnten Metapher zum Ausdruck gebracht.

Besonders ausführlich ging Pilvousek auf zwei Konfliktpunkte zwischen DDR-Staat und katholischer Kirche ein -Fahneneid und Jugendweihe -und erläuterte die unterschiedlichen Positionen, die die katholische Kirche dazu einnahm. Während die Teilnahme an der Jugendweihe als "Sünde gegen den Glauben" eingestuft und in den Anfangsjahren mit einem sechsmonatigen Ausschluss vom Sakramentenempfang sanktioniert worden sei, habe die Berliner Ordinarienkonferenz den Fahneneid nicht als religiösen Akt betrachtet. Die Bischöfe hätten in diesem Eid eine politisch-staatsbürgerliche Verpflichtung gesehen, nicht aber ein weltanschauliches Bekenntnis. Mit "heutigem Abstand" blieben in dieser Angelegenheit allerdings "eine Menge Fragen", sagte Pilvousek.

Zusammenfassend verwies er mit Blick auf Widerstand und Konformismus der katholischen Kirche in der DDR auf den Philosophen Konrad Feiereis. Dieser sei "nach gründlicher Analyse" zu dem Ergebnis gekommen, dass die katholische Kirche in der DDR auf keinem der drei Gebiete Liturgie, Diakonie und Martyrie versagt habe. "Trotz kritischer Fragen, ob Kirche alle Möglichkeiten für die Menschen voll nutzte und ausschöpfte, bleibt dies ein zu beachtendes Resultat", so Pilvousek.

Nicht ausgeschöpft hat die katholische Kirche ihre Möglichkeiten nach Pilvouseks Ansicht beim Bekanntmachen des Bausoldatendienstes, der 1964 eingeführt wurde: "Ich habe 1967 Abitur gemacht. Ich wusste noch nicht mal, dass es so etwas gibt."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 9 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 01.03.2002

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