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Auf zwei Minuten

Gott und die Freiheit des Menschen

von Pater Damian

Pater Damian Meyer In dem 1946 erschienenen Stück "Draußen vor der Tür" von Wolfgang Borchert richtet der Kriegsheimkehrer Beckmann die Frage an Gott: "Ach, du bist also der liebe Gott ... Seltsam, das müssen ja ganz seltsame Menschen sein, die dich so nennen. Das sind wohl die Zufriedenen, die Satten, die Glücklichen, und die, die Angst vor dir haben. Die im Sonnenschein gehen, verliebt oder satt oder zufrieden - oder die es nachts mit der Angst kriegen, die sagen: Lieber Gott! Lieber Gott! Aber ich sage nicht lieber Gott, du, ich kenne keinen, der ein lieber Gott ist, du! Wann bist du eigentlich lieb, lieber Gott? Warst du lieb, als du meinen Jungen, der gerade ein Jahr alt war, als du meinen kleinen Jungen von einer brüllenden Bombe zerreißen ließt? Warst du da lieb, als du ihn ermorden ließt, lieber Gott, ja? ... Nein, richtig. Du hast es nur zugelassen. Du hast nicht hingehört, als er schrie und als die Bomben brüllten. Wo warst du da eigentlich, als die Bomben brüllten, lieber Gott? Oder warst du lieb, als von meinem Spähtrupp elf Mann fehlten? Elf Mann zu wenig, lieber Gott, und du warst gar nicht da, lieber Gott. Die elf Mann haben gewiss laut geschrien in dem einsamen Wald, aber du warst nicht da, lieber Gott. Warst du in Stalingrad lieb, lieber Gott, warst du da lieb, wie? Ja? Wann warst du denn eigentlich lieb, Gott, wann?"
Eine bittere Klage vor Gott, die in jeder Generation millionenfach neu erklingt. Das Übermaß der Leiden in der Welt, das Un-sinnige, was allenthalben geschieht, stellt das nicht die Allmacht Gottes in Frage? Oder kann Gott es verhindern und will es nicht? Das wäre eine noch furchtbarere Aussage.
Wenn Gott sich selbst in Jesus ausgesagt hat, dann dürfen wir seine Allmacht nicht jenseits des Kreuzes suchen. Jesus hat große Angst, so dass er Blut schwitzt. Er ringt mit seinem Gott, er schreit nach ihm; dennoch übergibt er sich ganz dem Vater. "Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst" (Mt 26,39). War es Gott denn möglich, seinen Sohn vor dem schrecklichen Kreuzestod zu bewahren? Nein, er konnte Jesus nicht retten! Und er will den Kreuzweg seines Sohnes nicht. Aber wir bekennen doch im Credo die Allmacht Gottes. Die Allmacht des biblischen Gottes ist nicht die Allmacht eines Potentaten, der tun und lassen kann, was er will. Gott ist anders: Seine Allmacht ist identisch mit der Liebe. Seine Allmacht setzt sich mit keinen anderen Mitteln durch als mit denen der Liebe.

Was bedeutet dieses oft missbrauchte und inflationär entwertete Wort "Liebe"? Es ist die Anerkennung des Anderen als Anderen, so dass er frei ist. Gott wollte den Menschen als freies Geschöpf, das auf seine Liebe in Freiheit antworten kann. Er respektiert unsere Freiheit, weil er unsere Liebe will. Er bindet sich an den Menschen. "Die Allmacht Gottes ist nicht etwas ganz anderes als die gekreuzigte Liebe, sondern mit dieser identisch; dann bedeutet Osterglaube, dass die scheinbar (!) ohnmächtige Liebe des Gekreuzigten stärker ist als die Macht der Mächtigen, als alle Macht des Bösen. Ostern feiern wir, dass die wehrlose Liebe des trinitarischen Gottes stärker war als der kreuzigende Hass der Henker. Dieses Stärkersein geschah nicht nach dem Karfreitag, sondern am Karfreitag. Gott zeigt sich nicht zuerst als die gekreuzigte Liebe und dann als die Allmacht, die mit dem Victory-Gestus triumphiert. Nein, Gott ist als gekreuzigte Liebe allmächtig - so und nur so! Würde die an Ostern besungene Allmacht bedeuten, dass Gott jeden Karfreitag verhindern könnte, wenn er nur wollte, dann würden wir einen Zyniker feiern, der den Kreuzweg seines Sohnes nicht verhindert hat, obwohl er es gekonnt hätte. Nein - auch wenn wir Ostern drei Tage nach dem Karfreitag feiern, lässt sich das Ereignis des Sieges nicht vom Ereignis des Kreuzes trennen. Ostern bedeutet ...: Der physische Tod zerstört Jesus nicht, weil er der Sohn ist, der im Tod in Beziehung bleibt zum Vater (zum Leben, das nicht stirbt). Wer Jesus als den Christus glaubt, der nimmt teil an seiner unzerstörbaren Beziehung zum Vater" (Karl-Heinz Menke).

P. Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 15 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.04.2001

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