Integration ist mehr als Spracherwerb
Magdeburger Caritasreferent zum geplanten Zuwanderungsgesetz
Magdeburg (mh) -"Der Gesetzentwurf ist mehr als alles, was wir bis jetzt in der Bundesrepublik hatten", sagt Jan Kiehl vom Caritasverband für das Bistum Magdeburg über das geplante Zuwanderungsgesetz. Besonders wichtig für ihn: "Zum ersten Mal ist im Gesetz von Integration die Rede." Dennoch hat der Caritasreferent für Aussiedlersozialarbeit auch eine Reihe kritischer Anmerkungen. "Das Gesetz richtet seinen Blick zu sehr auf diejenigen, die neu nach Deutschland kommen. Von der Integration derer, die schon hier leben, ist keine Rede."
Zuwanderungsgesetz nicht nur Sache der Parteien
Ob der vorliegende Entwurf tatsächlich Gesetzeskraft erlangt, ist allerdings noch fraglich. Zwar hat ihn der Bundestag am 1. März mit den Stimmen der rotgrünen Regierungskoalition verabschiedet. Aber die endgültige Entscheidung liegt beim Bundesrat, der am 22. März abstimmen soll. Hier haben SPD und Grüne keine Mehrheit. Gerade die Auseinandersetzungen auf Parteienebene in den letzten Tagen kritisiert Kiehl. Das Bemü- hen der Bundesregierung um einen "Parteienkonsens in dieser Frage" habe durch das Verhalten von CDU und CSU sowie der PDS Rückschläge erlitten. Das habe den Anschein verstärkt, "als ob das künftige Zuwanderungsgesetz allein Sache der Parteien wäre". Nötig sei aber eine breite gesellschaftliche Diskussion -gegebenenfalls auch in Wahlkampfzeiten, meint Kiehl, wenn es dabei um die Sache geht und auf "Stammtischparolen und Populismus" verzichtet werde. "Ich habe den Eindruck, die Leute wünschen sich mehr Mitsprache."
Zuwanderung neu zu gestalten und die Zugewanderten in die Gesellschaft integrieren zu wollen, sei nur möglich, wenn die neuen Mitbürger akzeptiert werden und in der Gesellschaft ein Klima der gegenseitigen Achtung herrsche. "Hier sind Verbesserungen nötig", sagt Kiehl. Um diese aber zu erreichen, dürfe in der Öffentlichkeit nicht das Bild vermittelt werden, "ausländische Mitbürger sind ein notwendiges Übel und sie sind in ihrer Mehrheit gefährlich." Eine umfassende Integrationspolitik müsse darauf abzielen, den neu Zuwandernden und den bereits hier lebenden Zugewanderten eine gleichberechtigte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. "Das geplante Gesetz verkürzt dagegen Integration weitgehend auf Spracherwerb", kritisiert Kiehl. "Wir brauchen aber eine interkulturelle Öffnung der Gesellschaft, die schon damit anfängt, dass zwischen der deutschen Bevölkerung und den Zugewanderten mehr Kontakte geschaffen werden."
Intergration nur für Neuankömmling?
Eine deutliche Verschlechterung befürchtet Kiehl gegenwärtig für die Aussiedler. "Neben den über sieben Millionen ausländischen Mitbürgern, die schon in Deutschland leben, sind besonders die 1,8 Millionen deutschstämmigen Spätaussiedler, die seit 1991 vor allem aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen sind, weitgehend unberücksichtigt. Ihre Integration ist aber keineswegs abgeschlossen." Die Caritas fordere schon lange, diese Gruppen in die Integrationsangebote einzubeziehen.
Die Rolle, die wirtschaftliche Fragen in der Zuwanderungsdebatte spielen, findet Kiehl schwierig. Die wichtigen humanitären Gründe, aus denen ein Land einem Menschen aus einem anderen Land Zuflucht gewährt, treten so in den Hintergrund. "Zuwanderung darf nicht auf wirtschaftliche Gründe reduziert werden." Das gelte sowohl für die Green-Card-Diskussion wie für die Behauptung, dass Ausländer zunehmend aus rein wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kämen. Kiehl: "Aus wirtschaftlichen Gründen verlässt niemand seine Heimat. Ist jemand ein Wirtschaftsflüchtling, weil er hier arbeiten will, um zuhause das Überleben seiner Familie zu sichern?" Und die Frage im Zusammenhang mit der Green Card, mit der Deutschland hochqualifizierte Ausländern ins Land holt, geht in Richtung Wirtschaft: Sie habe offensichtlich versäumt, die entsprechenden Fachkräfte auszubilden oder: "Sind deutsche Arbeitslose, die inzwischen die vierte Umschulung hinter sich haben, dümmer als Ausländer?"
Ob das Gesetz kommt oder nicht, wichtig ist für Kiehl, dass die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände künftig in diesem Bereich ihre gesellschaftliche Verantwortung weiter wahrnehmen. Dazu gehört für ihn das Kirchenasyl. "Es gibt Härtefälle, die kein Gesetz regeln kann. Hier können die Kirchen zeigen: Wir nehmen vom Glauben her unsere Verantwortung für den Menschen wahr." Dieser Grundsatz gilt aber auch in der alltäglichen Arbeit der Caritas für und mit Zugewanderten. "Die Erfahrungen der Caritas reichen auf diesem Gebiet über 45 Jahre zurück, als sie Flüchtlinge und Vertriebene und ein wenig später die ersten Gastarbeiter in der alten Bundesrepublik betreute." Für die künftige Tätigkeit hat er allerdings einen Wunsch: "Ein Großteil unserer Arbeit wird über Förderprogramme bezahlt. Jahr für Jahr ist damit die Frage verbunden: Werden wir weiter finanziert? Wenn jetzt gesetzlich ein Anspruch auf Integration festgeschrieben wird, müssen auch die Dienste, die dabei helfen, gesetzlich verankert werden."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Samstag, 09.03.2002