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Ruhig werden und so zu sich selbst gelangen

Besinnungsnachmittag für Kinder in der Görlitzer St.-Jakobus-Gemeinde

Brotbacken mit allen Sinnen: Bewusst schmecken, riechen und fühlen könne nur, wer innerlich ruhig sei, meint Gemeindereferentin Gabriele Kretschmer (zweite von links).

Görlitz -Ob hohe Anforderungen in der Schule, Ärger zu Hause oder aufregende Computerspiele und Fernsehfilme: Es gibt vieles, was Kinder heute oft unruhig sein lässt. An diesem Nachmittag aber sitzen neun Mädchen und Jungen fast reglos auf ihren Stühlen im Görlitzer Klemens-Neumann-Heim und sagen die meiste Zeit kein Wort.

"Die Ruhe erfahren" ist dieser Besinnungsnachmittag für Schüler der vierten bis siebten Klasse überschrieben, zu dem Gemeindereferentin Gabriele Kretschmer am 2. März in die St.-Jakobus- Gemeinde eingeladen hat. Zu Beginn sollen die Kinder ihre Erwartungen an dieses Treffen aufschreiben. Offenbar haben sie ziemlich viele, denn die Filzstifte kratzen mehrere Minuten lang übers Papier. Zusammen mit einem Teelicht legt jedes Kind dann seinen Zettel in die Mitte des Stuhlkreises.

Die 14-jährige Franziska erläutert zum Beispiel, sie habe bei dem Titel "Die Ruhe erfahren" zunächst an ein Anti-Aggressions- Training gedacht, das bewirken solle, "dass man nicht gleich ausflippt bei jeder Sache". Dann sei ihr jedoch bewusst geworden, worum es bei diesen Besinnungsstunden in der Fastenzeit eigentlich gehe, nämlich darum, zu sich selbst zu kommen.

Angeregt, sich mit der eigenen Person auseinanderzusetzen, werden die Schüler gleich mehrmals an diesem Nachmittag. Zum Beispiel führt die Fantasiereise, die Gabriele Kretschmer vorträgt, in eine Galerie, in der jedes Kind auf einem der Gemälde sich selbst dargestellt sieht.

Und der Blick in eine Schüssel mit Wasser, in die einige der Kinder zuvor Kieselsteine geworfen haben, wird zu einem Blick in den Spiegel, sobald sich das Wasser nicht mehr bewegt. Gabriele Kretschmer erklärt dazu: "Wenn wir in ein unruhiges Wasser schauen, können wir uns nicht erkennen -oder nur verzerrt oder verschwommen. Wenn wir aber warten, bis das Wasser ruhig ist, dann können wir uns ziemlich gut darin sehen."

Ähnlich verhalte es sich auch mit der Ruhe im Menschen: "Wenn wir ruhig werden, können wir uns selber erkennen. Wer bin ich denn eigentlich? Wie bin ich denn eigentlich? Wie sehen mich die anderen?" Das würde den Jungen und Mädchen in ein paar Jahren noch stärker bewusst werden als jetzt, sagt Gabriele Kretschmer. Manche hätten aber auch schon als Kind ein "ganz schön bewegtes Leben".

Das Ruhigwerden können die Kinder an diesem Nachmittag gleich mal einüben, zum Beispiel indem sie eine Holzschale so lange festhalten, bis die Kugel darin völlig still liegt. Selbst die Mädchen und Jungen, die gerade nicht an der Reihe sind, sitzen regungslos und schweigend daneben, fast so, als könnten sie dadurch die Kugel schneller zur Ruhe bringen.

Gemeinsam überlegen die Kinder, wie Menschen sonst noch zur Ruhe kommen können. Hilfreich erscheint den Teilnehmern beispielsweise, in eine Kirche zu gehen, ruhige Musik zu hören oder sich vor eine brennende Kerze zu setzen.

Ruhe ist nicht nur Voraussetzung dafür, zu sich selbst zu kommen. Nur wer ruhig sei, könne auch sinnliche Eindrücke bewusst wahrnehmen, meint Gabriele Kretschmer. Sie lädt die Kinder ein, beim Brotbacken Zutaten wie Zwiebeln oder Mehl intensiv zu beschnuppern und zu betasten. Beim gemeinsamen Essen dürfen die Jungen und Mädchen das Selbstgebackene dann bewusst schmecken. Und als die Teilnehmer am Ende des Nachmittags ihre Teelichte wieder vom Boden aufheben, sagen sie übereinstimmend, dass sie sich ruhiger fühlen als zu Beginn.

Karin Hammermaier

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 11 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 15.03.2002

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