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Kirchen müssen Erfolgsdruck akzeptieren

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt über die Arbeitsmarktsituation in den neuen Bundesländern

Dieter Hundt: Kirchen sollen wirtschaftliche Überlegungen mitberücksichtigen.

Die hohe Arbeitslosigkeit ist nach wie vor das Problem Nummer eins in Ostdeutschland. Der TAG DES HERRN fragte Vertreter von Arbeitgebern und Gewerkschaften nach Lösungen.

Im Raum Hoyerswerda liegt die Arbeitslosenquote zurzeit bei rund 25 Prozent. Warum bieten Arbeitgeber im Osten Deutschlands nicht mehr Beschäftigungsmöglichkeiten an?
Diese Frage ist für mich lokalspezifisch schwer zu beantworten. Insgesamt ist die wirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern immer noch bei weitem nicht zufrieden stellend. Auf der anderen Seite sind aber auch gerade hier in Sachsen positive Entwicklungen festzustellen. Ich denke da beispielsweise an die Ansiedlung von westlichen Unternehmen. Ganz aktuell beginnt Porsche eine Automobilfertigung in der Leipziger Gegend. BMW hat sich für Leipzig entschieden. Ich bin überzeugt, dass dies auch Folgewirkung haben wird und andere Industrieunternehmen nachziehen. Es ist auch sehr positiv zu werten, dass das Industriewachstum in Sachsen im vergangenen Jahr mit etwa achteinhalb Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt lag. Es sind erfreuliche Ansätze da, aber ich weiß und wir alle wissen, dass hier noch beträchtliche zusätzliche Verbesserungen erforderlich sind.
Wie wollen Sie von Arbeitgeberseite dafür sorgen, dass sich die Arbeitsmarktsituation hier im Osten ändert?
Wir müssen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Gesamtdeutschland und ganz besonders auch für die neuen Bundesländer verbessern, so dass auch ausländische Investitionen in Deutschland attraktiver werden. Ganz besonders gefordert sind wir aktuell in der Tarifpolitik. Wir müssen sicherstellen, dass produktivitätsorientierte Tarifabschlüsse vereinbart werden, um gerade auch die noch nicht zufrieden stellende wirtschaftliche Situation in den neuen Bundesländern zu verbessern.
Was heißt das, produktivitätsorientierte Tarifabschlüsse?
Die Entgeltsteigerungen müssen sich branchendifferenziert an der Produktivitätssteigerung orientieren. Wenn die Lohnerhöhungen über dem Produktivitätswachstum liegen, kostet dies Arbeitsplätze und eine derartige Entwicklung müssen wir gerade in den neuen Bundesländern vermeiden.
Wann sollten Ihrer Ansicht nach die Arbeitseinkommen und Renten in den neuen Ländern dem westdeutschen Niveau angeglichen werden?
In der Frage der Anpassung der Einkommen der neuen Bundesländer an die der westlichen Bundesländer müssen wir uns streng von der Produktivität leiten lassen. Hier können wir nur flexibel vorgehen und die Tarifregelungen für die einzelnen Branchen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit unterschiedlich gestalten, wie dies derzeit meist auch der Fall ist. Wir dürfen die Wirtschaft in den neuen Bundesländern nicht dadurch überfordern, dass Entgelte bezahlt werden, die über der Produktivität liegen, weil dies mit Stellenabbau und Arbeitslosigkeit bezahlt werden muss.
Ein großes Problem stellt im Osten die Jugendarbeitslosigkeit dar. Welche Chancen sehen Sie, diese zu verringern?
Erfreulicherweise haben wir in Deutschland insgesamt eine im Vergleich zu anderen Ländern gute Situation hinsichtlich der Jugendarbeitslosigkeit. Die Zahl der von der deutschen Wirtschaft angebotenen Ausbildungsplätze wächst seit Jahren. An die Jugendlichen in einzelnen strukturschwächeren Gegenden richte ich auch die Forderung, die notwendige Mobilität aufzubringen und beispielsweise bereit zu sein, Ausbildungsplätze dort zu akzeptieren, wo sie angeboten werden.
Und was soll dann aus Städten wie Hoyerswerda, Cottbus oder Spremberg werden?
Einen Ausbildungsplatz in einem anderen Bundesland anzunehmen, ist zuallererst eine Chance, späterer Arbeitslosigkeit zu entgehen. Ausbildungsplätze werden den Jugendlichen aber auch in Hoyerswerda und Cottbus angeboten. Sie sind nur noch nicht in ausreichender Zahl vorhanden, was an der schwierigen Situation vieler Unternehmen in den neuen Bundesländern liegt. Wenn ein Teil der Jugendlichen nach Abschluss der Ausbildung in ihre Heimatstädte zurückkehren, sind sie die Fachkräfte, welche die ostdeutsche Wirtschaft dringend benötigt.
Haben Sie Ideen, wie eine bessere Vereinbarkeit von Familien- und Berufsarbeit gerade für Frauen erreicht werden könnte?
An der weiterhin besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird intensiv gearbeitet. Die deutsche Wirtschaft und ich in meiner Funktion als Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände befinden uns diesbezüglich mit der Bundesregierung in einer sehr konstruktiven Zusammenarbeit. Es werden in ständig steigendem Umfang Teilzeitbeschäftigungen in den Unternehmen angeboten. Seitens der Politik müssen allerdings weitere Voraussetzungen erfüllt werden. Ich denke etwa an Ganztagsschulen und Kinderbetreuungsstätten. Hier ist die Politik gefordert. Wir sind in dieser Frage auf einem aussichtsreichen Wege, wobei allerdings Gesetzesvorhaben wie der Rechtsanspruch auf Teilzeit die positive Entwicklung stören und gefährden.
Sie sind selbst evangelischer Christ. Wie, denken Sie, können die Kirchen zu einer besseren Arbeitsmarktsituation in Ostdeutschland beitragen?
Es besteht eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Kirchen. Wir haben auf diesem Gebiet im Verlauf der letzten Jahre beachtliche Fortschritte erzielt. Ich freue mich sehr darüber, dass in die Spitzen beider Konfessionen inzwischen auch wirtschaftliche Denkweisen Eingang gefunden haben und wir in vielen Fragen, die für die künftige wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland von entscheidender Bedeutung sind, übereinstimmende Positionen haben.
Haben Sie konkrete Vorschläge für die Kirchen?
Die Forderung der Wirtschaft an die Kirchen ist, dass sie wirtschaftliche Überlegungen mitberücksichtigen. Die deutsche Wirtschaft bejaht die soziale Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft heißt aber nicht, dass wir Lebensstandardsicherungen rundherum anbieten, sondern dass wir vom Einzelnen Eigenverantwortung sowie Leistung und Erfolg verlangen und ihn darüber hinaus im Rahmen unserer Solidarsysteme vor Risiken schützen, die ihn überfordern.
Was heißt das nun für die Kirchen?
Das heißt für die Kirchen, zu akzeptieren, dass vom Einzelnen Leistung, Engagement und Erfolg gefordert werden und dass unsere Solidargemeinschaft auch eigenverantwortliches Tun und Handeln verlangt.

Fragen: Karin Hammermaier

Bitte lesen Sie dazu auch das Interview mit Jürgen Weißbach

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 11 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 15.03.2002

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