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Aus der Region

Statt Stress und Tempo

Seit einem Jahr gibt es im Dresdner Flughafen eine Kapelle

Jenseits von Stress und Hektik: Zeit für Stille und Besinnung in der Flughafenkapelle.

Dresden -Der Frau und dem jungen Mädchen an ihrer Seite ist auf dem Gang das Piktogramm mit den betenden Händen aufgefallen. Zögernd treten sie in den Vorraum, schauen neugierig nach links durch die Glastür, die zum Andachtsraum führt. Schließlich drücken sie die Klinke und verschwinden in dem Raum. Nach einigen Minuten erscheinen sie wieder, werfen einen Blick ins Büro, wo Erika Günther und Christiane Beyer mit dem katholischen Pfarrer Bernd Fischer am Tisch sitzen. "Sie können gerne hereinkommen", ruft Pfarrer Fischer. "Nein, nein", geben die beiden zurück, "Wir wollten nur mal ganz kurz reinschauen."

Ob sie ein Gebet gesprochen oder sich die Kapelle nur angesehen haben, ob sie hier für ein paar Augenblicke einen Ort der Ruhe gesucht haben, ob sie nur neugierig waren oder ob es der bloße Zufall war, der sie hier hereingetrieben hat -Pfarrer Fischer und die beiden Mitarbeiterinnen der Dresdner Flughafenseelsorge werden es nie erfahren. So geht es oft.

30 Frauen und Männer helfen ehrenamtlich

Wenn einer hier hereinschaue, sei "viel Spontanität dabei", sagt Christiane Beyer, ehrenamtliche Helferin aus der katholischen Gemeinde in Radeburg. Zeit nehmen sich hier nur wenige. Die Kapelle befindet sich neben der Halle für die Ankunft, fast ein wenig versteckt um die Ecke. "Die Leute wollen schnell weiter", sagt Erika Günther. Die Frau eines evangelischen Pfarrers aus Dresden ist die einzige hauptamtliche Helferin, und auch das nur auf der Basis einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Der evangelische und der katholische Pfarrer üben die Seelsorge hier zusätzlich zu ihrem Gemeindedienst aus. Die Hauptarbeit leisten etwa 30 Ehrenamtliche aus evangelischen und katholischen Gemeinden in Dresden und Umgebung, zwei Drittel davon Frauen. Reihum verbringen sie hier am Vormittag oder Nachmittag mehrere Stunden. Nicht nur im Büro, auch draußen in der Ankunftshalle. Da kommen sie hin und wieder mit Reisenden oder den Angestellten des Flughafens ins Gespräch.

Manchmal fragt jemand nach dem Weg. Einer Italienerin habe sie etwas über die Stadt und die Kirchen erzählt, erinnert sich Erika Günther. Pfarrer Fischer hat einmal mit einem ratlosen jungen Mann gesprochen, der erfolglos von einem Bewerbungsgespräch zurückkam, und mit einem Mädchen, das einfach irgendwohin wollte, weil sie ihr Freund verlassen hatte. Jeder Helfer vermerkt die Begegnungen in einer Art Diensttagebuch. Aufregendes ist darin nicht zu lesen. "Die Mitarbeiter vom Flughafen oder Leute vom Flugpersonal möchten sich manchmal auch bloß kurz zurückziehen, Ruhe haben, mal durchatmen", sagt Erika Günther.

Vor allem dafür ist der Andachtsraum da. 33 Quadratmeter groß, fensterlos, mit indirektem Licht beleuchtet, begrenzt von weißen Flächen, die das Grau der Betonwände verbergen. Über der nach außen gewölbten Stellwand das moderne Kruzifix, Christus, wie aufgelöst in einzelne Splitter, Ahorn auf Stahl. "Mehr als gewöhnungsbedürftig", hat ein Besucher im Gästebuch vermerkt. "Genau passend zur Architektur dieses Raumes und zum Flughafen" hingegen meint der evangelische Kirchenoberinspektor Andreas Sembdner aus der Gemeinde im benachbarten Stadtteil Klotzsche. Die Flughafenkapelle war vor allem seine Idee, er hat sie am hartnäckigsten verfolgt. So wurde sie unmittelbar nach Eröffnung des neuen Terminals vor einem Jahr eingeweiht, als erste in Sachsen. Für Sembdner ist sie besonders ein Ort, wo evangelische und katholische Christen zusammenarbeiten. Regelmäßig mittwochs gibt es 18 Uhr ein Abendgebet, an den Sonntagen 17 Uhr Gottesdienste -katholisch und evangelisch im Wechsel. Dazu kommen die Leute aus der Umgebung. "Aber für beide Konfessionen gibt es nur einen Abendmahlskelch", sagt Sembdner.

An Kosten müssen sich die evangelische und die katholische Kirche lediglich in die rund 12 000 Euro jährliche Nebenkosten teilen. Die Räume überlässt die Dresdner Flughafengesellschaft den Seelsorgern mietfrei. Das sei das deutlichstes Zeichen dafür, dass Seelsorge hier erwünscht sei, sagt Flughafensprecherin Petra Siebert. "Es gibt Situationen, in denen Menschen diese Art Hilfe oder einen Ort, an dem sie sich zurückziehen können, brauchen."

Für das Bistum Dresden-Meißen steht die Betreuung auf dem Airport etwas weiter unten auf der Prioritätenliste, sagt Ordinariatsrat Michael Dittrich, Leiter der Abteilung Pastoral. Es sei ein Angebot für Leute, die bei einem wichtigen Ereignis wie einem Flug eine Beziehung zu Gott suchten. Kirche müsse "dorthin, wo die Menschen sind", meint Pfarrerin Almut Klabunde, Fachreferentin für Seelsorge bei der evangelischen Kirche in Sachsen. Für sie ist diese Kapelle ein "Kontrapunkt". Ein Raum der Stille, "wo andere Werte eine Rolle spielen als Geschwindigkeit, Hektik, Business und Stress". "Hier ist Kirche mitten im Leben", sagt Erika Günther.

Kapelle mit "Überraschungseffekt"

Dass viele sich darauf in Situationen großer Erschütterung und Verunsicherung besinnen, zeigte den Helferinnen besonders der 11. September des vergangenen Jahres. Im Gästebuch ist es ablesbar: "Herr, erbarme dich über die Opfer und ihre Angehörigen", steht da, darunter die zwei Worte "Bruder Mensch", die Frage nach dem "Warum?", Zweifel auch: "Wo war Gott in diesen Stunden?" In den Wochen nach den Terroranschlägen seien mehr Leute in die Kapelle gekommen als zuvor, hätten auch über ihre Ängste geredet, erzählt Christiane Beyer. "Aber das war nur vorübergehend." Dennoch, das erste Jahr habe gezeigt, dass dieser "Ort des Glaubens mitten in der modernen Gesellschaft" gebraucht werde, meint Pfarrer Fischer. Auch wegen des "Überraschungseffektes". Hin und wieder nämlich hätten ihn erstaunte Christen gefragt, was denn die Kirche hier mache. "Das hat mir gezeigt, dass wir hier sein müssen."

Tomas Gärtner

Gefeiert wird das Jubiläum in der Flughafenkapelle am 24. März, 15 Uhr mit einem kleinen Violinkonzert und einem Imbiss. 17 Uhr gibt es einen ökumenischen Gottesdienst.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 12 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 21.03.2002

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