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Zur Freude auch für Nichtchristen

Vor 40 Jahren kam die Fokolarbewegung nach Ostdeutschland

Jubiläum in Zwochau: Zu Gast Kardinal Vlk (Prag), die ersten Fokolare im Osten Marlies Neumann, Natalia Dallapiccola, Guiseppe Santanché sowie Bischof Reinelt (von links).

Zwochau -Sie machten aus ihrem Glauben keinen Hehl und sprachen darüber in einer erfrischenden Sprache, die auch Nichtchristen Trost und Freude geben konnte. Christliche Nächstenliebe schien für sie weit mehr als ein Schlagwort zu sein, und selbst strammen Parteigenossen begegneten sie mit Herzlichkeit und Respekt. "Das ist der Weg, um in diesem Land Christentum zu leben", begeisterte sich der damalige Seminarist Joachim Reinelt, als er kurz vor dem Mauerbau in Westberlin in Kontakt mit der Fokolarbewegung kam. Bei einem Festakt im Zwochauer Fokolarzentrum zum 40-jährigen Bestehen der Bewegung in Ostdeutschland erinnerte sich der heutige Bischof von Dresden-Meißen am 10. März wieder an diese ersten Eindrücke und auch an die rasch folgende Enttäuschung: Der Bau der Mauer schien das jähe Ende für die hoffnungsvoll geknüpften Bande zu bedeuten.

Erst später erfuhr der junge Student, dass zwei italienische Ärzte der Fokolarbewegung auf Anregung seines Bischofs Otto Spülbeck bereits seit Mai 1961 am Leipziger Elisabeth-Krankenhaus arbeiteten. Spülbeck hatte die Fokolare in Rom kennen gelernt und sich --ebenso wie sein Berliner Kollege Kardinal Alfred Bengsch -1960 an die Gründerin Chiara Lubich gewandt mit der Bitte, die neue Spiritualität auch in seiner Diözese bekannt zu machen. "Bischof Spülbeck brannte das Herz für die Erfolge des Konzils. Er sah, wie notwendig die kleine und oft sehr zaghafte Kirche in unserem Land Bewegung brauchte, Aufbrüche zu den anderen Menschen hin, und solch einen Aufbruch erwartete er sich unter anderem auch von den Fokolaren", erläuterte Bischof Reinelt in Zwochau. Bei Chiara Lubich hatten die DDR-Bischöfe offene Türen eingerannt. Schon seit Jahren lagen ihr die Menschen in den Ostblockländern in besonderer Weise am Herzen. Seitdem der Leipziger Oratorianerpater Hans Lubsczyk die Bewegung 1957 in Münster kennen gelernt hatte, nutzten die Fokolare die Leipziger Messe, um Kontakte zu der Priestergemeinschaft und Familien aus ihrem Umfeld zu pflegen. Kurz darauf waren insgeheim zwei Fokolar- Wohngemeinschaften in Westberlin eigens für Ostdeutschland gegründet worden.

Der Ärztemangel in der DDR machte die Einreise von Ausländern mit medizinischer Ausbildung relativ einfach. Sie waren willkommen, erlebten aber gleichzeitig die vergeblichen Versuche mancher Parteigenossen, sie "einzuordnen": Sie mussten westliche Kommunisten sein oder kapitalistische Spione. Acht Ärztinnen und Ärzte "schleuste" die Fokolarbewegung ingesamt ein. Natalia Dallapiccola, die erste Weggefährtin Chiara Lubichs, war keine Ärztin. Sie reiste Anfang 1962 offiziell als Putzhilfe der westfälischen Allgemeinmedizinerin Margreth Frisch ein. Joachim Reinelt hatte nach dem unerwarteten "Sprung" der Bewegung über die Mauer Gelegenheit, die begeisternden ersten Eindrücke auf dauerhafte Alltagstauglichkeit zu überprüfen und wurde dabei nicht enttäuscht: "Wie diese Ärzte ohne jeglichen Privatraum für andere da waren, das schien mir glaubwürdig gelebtes Christentum zu sein". Nach einem anstrengenden Arbeitstag im Krankenhaus hätten sie jeden Abend ein Programm absolviert, das mit dem einer Pfarrei vergleichbar war. Zwischendurch stellten sie sich noch bei Konsum oder HO an, um ihre Gäste bewirten zu können. Bereits nach einigen Jahren hatte sich die Fokolarbewegung in allen Regionen der DDR verbreitet, in erster Linie in der katholischen, aber auch in der evangelischen Kirche. Von hier aus gelangte sie in andere Ostblockländer, vor allem nach Polen und der Tschechoslowakei. Große Versammlungen wie die Sommertreffen unter dem Namen "Mariapoli" oder "Familienexerzitien" waren in diesen Ländern undenkbar. Die Begegnungen waren deshalb meist als Urlaubsreisen deklariert. Man traf sich in kleinen Gruppen in der Tatra oder in anderen Berg- und Waldgegenden. Jahrelang fanden die "Mariapolis" der Ostdeutschen, Tschechen und Slowaken mit hunderten Teilnehmern zeitgleich im Erfurter Dom und der Severi- Kirche statt. Zu denen, die die Fokolarbewegung als Seminaristen in Ostdeutschland kennengelernt haben, gehört der Prager Kardinal Miloslav Vlk. "Wir fühlten uns von ihnen sehr geliebt und empfanden das als Ausdruck der Liebe, die die Muttergottes für die Kirche hat", sagte er.

Nach der Wende fasste die Bewegung auch in der ehemaligen Sowjetunion Fuß, bis nach Sibirien und die Mongolei. In den neuen Bundesländern fühlen sich heute einige hundert Menschen den Fokolaren zugehörig. Seit 1998 hat die Bewegung ein eigenes Begegnungszentrum für Ostdeutschland, das Mariapolizentrum "Einheit" in Zwochau.

Dorothee Wanzek

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 12 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 21.03.2002

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