Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Spezial

"Dialog oder Konkurrenzkampf?"

Ökumenekrise in Russland - ein Gespräch mit Alexej Tomiouk, Priester der russisch-orthodoxen Gedächt

Heftige Kritik: Die russisch-orthodoxe Kirche reagiert scharf auf die Errichtung von vier römisch-katholischen Bistümern in Russland. (Das Foto zeigt einen orthodoxen Priester bei der Segnung von Früchten. Es handelt sich dabei nicht um Pfarrer Tomiouk.)

Frage: Herr Pfarrer Tomiouk, die Errichtung von vier katholischen Bistümern in Russland ist auf scharfe Kritik der russisch-orthodoxen Kirche gestoßen. Können Sie uns diese heftigen Reaktionen erklären?

Tomiouk: Zunächst möchte ich betonen: Es gibt in Russland keine Staatskirche und die russischorthodoxe Kirche versteht sich auch nicht als solche. Außerdem ist Russland wie Deutschland ein Rechtsstaat, und natürlich kann jede Kirche ihre Angelegenheiten regeln, wie sie es für nötig hält und ohne andere zu fragen. Aber: Es gibt seit langer Zeit viele Kontakte zwischen der russisch- orthodoxen Kirche und der römisch-katholischen Kirche. Was meine Kirche nun ärgert, ist, dass eine so wichtige Frage wie die Bistumsgründung nicht vorher ausführlich in einem Dialog besprochen worden ist.

Frage: Die katholische Kirche betont, die Gründung der Bistümer sei ein reiner Verwaltungsakt, eine innerkatholische Angelegenheit, über die man die russisch- orthodoxe Kirche ja auch informiert hat. Aber es ist für sie offensichtlich keine so gewichtige Frage, dass darüber ein langer Dialog geführt werden müsste. Sie sehen das anders?

Tomiouk: Meine Kirche versteht die Bistumsgründung als Errichtung einer katholischen Kirche für Russland. Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch die Gründung eines Erzbistums und dadurch, dass der Moskauer Erzbischof nun der katholische Metropolit für ganz Russland ist. Wie weit ist es dann noch bis zur Ernennung eines lateinischen Patriarchen in Moskau? Hier wird eine parallele Kirchenstruktur geschaffen, die wir nicht erwartet haben. In den vergangenen Jahren ist nie von der Errichtung einer katholischen Kirche für Russland die Rede gewesen. Nun beruft man sich darauf, dass es im zaristischen Russland (vor 1917) Diözesen gab. Das ist zwar richtig, aber damals gab es ganz anderen Katholikenzahlen. Einige damalige Völker des Russischen Reiches und Länder wie Lettland, Litauen, Finnland, Polen, Westukraine und die westlichen Gebiete von Weißrussland mit ihrer katholischen Bevölkerung gehören nicht mehr zu Russland. In den letzten Jahren, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben viele katholische Christen, unter anderen Russlanddeutsche, Russland verlassen. Es gibt zurzeit etwa 200 katholischen Gemeinden in Russland. Dennoch baut die katholische Kirche eine Metropolie -mit einem Metropoliten, mit Bistümern und Bischöfen, einem Priesterseminar ...Wozu? Bischof Pickel -wie auch einige andere -sprechen von der "Katholischen Kirche in Russland". Wir befürchten mit diesem Alleingang von Rom eine neue Welle von Proselytismus und missionarischer Tätigkeit der katholischen Kirche. Interessant ist, dass die Errichtung der katholischen Bistümer auch auf Kritik bei nicht gläubigen Russen gestoßen ist, weil viele Russen mit dem Alleingang der Katholiken eine Spaltung der Gesellschaft befürchten.

Frage: Die russisch-orthodoxe Kirche hat doch aber auch Strukturen außerhalb Russlands?

Tomiouk: Das ist richtig. Beides ist aber nicht miteinander zu vergleichen. Die russischen Gemeinden im Ausland sind für die seelsorgliche Betreuung der Russen oder anderen Orthodoxen da, die im Ausland leben, jedenfalls hat unsere Auslandstätigkeit bis heute keine zwischenkirchliche Probleme ausgelöst.

Frage: ...aber die katholische Kirche in Russland, die Proselytismus betreibt, unter den Russen missioniert und so der orthodoxen Kirche ihre Mitglieder wegnimmt?

Tomiouk: Tatsächlich gab es in den letzten Jahren immer wieder Diskussionen um Proselytismus und missionarische Tätigkeit der katholischen Kirche. Wir haben die Probleme zwischen der russisch- orthodoxen und der römisch- katholischen Kirche also durchaus schon länger und nicht erst seit dem 11. Februar, dem Tag der Bistumsgründung. Aber ich will das Thema Proselytismus nicht so hoch spielen. Wir sollten es pastoral behandeln. Wir können doch jetzt nicht die Leute vor Gericht zerren und fragen: Warum hast du die orthodoxe Kirche verlassen und bist katholisch geworden? Zum ersten Mal hat jetzt die katholische Kirche ja selbst gesagt, dass es möglicherweise in ihren Reihen einige Leute gibt, die etwas übereifrig sind und in ihrem pastoralen Bemühen über das Ziel hinaus schießen. Auch in unseren Reihen gibt es solche, die aber nicht im Ausland missionieren. Wir sollten darüber sprechen. Aber das ist nicht der eigentlich schmerzhafte Punkt.

Frage: Was ist dann so schmerzhaft?

Tomiouk: Im Jahr 2000 hat unsere Kirche auf ihrem Landeskonzil ein wichtiges Grundsatzdokument verabschiedet über die Beziehungen zu nicht orthodoxen Kirchen, in dem die besondere Bedeutung der katholischen Kirche unterstrichen wird. So mancher hat sich während der Beratungen schwer getan mit der Frage: Wie geht der ökumenische Dialog mit der katholischen Kirche angesichts der Probleme, die wir miteinander in Russland haben, weiter? Andere haben sich viel, viel Mühe gegeben, die Befürchtungen auszuräumen. Und was passierte dann? Die katholische Kirche veröffentlichte wenige Tage später ihr Papier "Dominus Jesus", mit dem sie vieles, was in der Ökumene erreicht wurde, in Frage gestellt hat. Das katholisch-orthodoxe Dialogtreffen in Baltimor im Jahr 2000 wurde ebenfalls ergebnislos beendet, und die positiven Ergebnisse der früheren Treffen in Freising und in Ballamand wurden nicht mehr als wichtig erachtet. Was nutzen da noch alle ökumenischen Gespräche und Vereinbarungen? Wir sind uns nicht mehr sicher, wie ernst der ökumenische Dialog von der katholischen Kirche gemeint ist und ob er sich wirklich lohnt. Das ist die schmerzhafte Enttäuschung. Und das übertragen auf unsere Erfahrungen jetzt in Russland: Geht es noch um einen Dialog zwischen "Schwester-Kirchen"? Oder geht es um Konkurrenz? Welche Kirche -die russisch-orthodoxe oder die römisch-katholische Kirche -ist die besser, welche Kirche hat mehr Kraft oder -wie man heute sagt -mehr Power?

Frage: Hier spielen Beziehungen der katholischen Kirche in die westliche Welt eine Rolle?

Tomiouk: Auch. Die katholische Kirche hat dadurch ganz andere finanzielle Möglichkeiten. Hilfsaktionen und missionarische Tätigkeit müssen deshalb ganz deutlich getrennt werden. Uns stört auch, dass von westlicher Seite immer wieder der Eindruck erweckt wird, Russland sei unzivilisiert und unchristlich, die Russen hätten keine Ahnung von christlichem Glauben und Moral.

Frage: Wie kann es weitergehen?

Tomiouk: Wir sollten aufhören unser eigenes Süppchen zu kochen und weitermachen auf dem Weg der Ökumene. Ich denke, die Verantwortlichen in meiner Kirche hoffen auf einen Dialog. Dabei darf es aber nicht nur darum gehen, miteinander zu plaudern und sich zusammen fotografieren zu lassen. Wir brauchen einen konsequenten Dialog, wir brauchen ernsthafte Diskussionen und Klärung der schwierigen Fragen. Vor der Revolution von 1917 gab es in Russland sehr viel mehr Katholiken als heute. Sicher gab es auch damals Probleme, aber wir haben doch zusammen gelebt. Warum sollte das heute nicht wieder möglich sein?

Fragen: Matthias Holluba

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 13 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 29.03.2002

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps