Bilder, die beim Überleben helfen
Bilder Tschernobyl-geschädigter Kinder im Leipziger St.-Elisabeth-Krankenhaus ausgestellt
Leipzig - Ruckartig bewegt sich der Arm des jungen Rollstuhlfahrers hin und her. Als er aber mit dem Pinsel das Papier berührt, wird seine Hand ganz ruhig. Die Frau, die seinen Arm bisher festgehalten hat, lässt los. Ganz allein streicht der Junge die wässrige Farbe nach links und rechts.
Jewgenij Kalinjuk ist eines von rund 25 Tschernobyl-Kindern, deren Bilder bis zum 27. Mai im Leipziger St.-Elisabeth-Krankenhaus ausgestellt werden. Entstanden sind sie im vergangenen Sommer während eines Kuraufenthalts in Litauen unter Anleitung von zwei Kunstpä-dagoginnen. Ein Videofilm im Krankenhaus-Foyer, aufgenommen vom Litauischen Fernsehen, zeigt einige der Jugendlichen - darunter Jewgenij - beim Malen.
Seit 1993 verbringen diese jungen Menschen aus Kiew gemeinsam mit ihren Müttern jedes Jahr vier bis sechs Wochen in dem litauischen Sanatorium. Um die Finanzierung des Aufenthalts kümmern sich unter anderem die Pfarrvikarie St. Hedwig in Böhlitz-Ehrenberg, die Leipziger Liebfrauen- und Propsteigemeinde sowie die Pax-Christi-Gruppe der Stadt. Die meist allein erziehenden Frauen werden in ihrer Heimat sozial benachteiligt. Im Kurheim können sie zur Ruhe kommen und sich austauschen. Die Mehrzahl der Kinder leidet an genetisch bedingten Behinderungen, etwa spastischen Lähmungen, oder anderen körperlichen und psychischen Erkrankungen. In der gesunden Umgebung erholen sich die jungen Menschen so weit, dass sie wieder ein Jahr weiterleben können.
Eine Neuerung bei der Kur gab es im vergangenen Jahr: Erstmals hatten die jungen Ukrainer Gelegenheit, sich künstlerisch zu betätigen. Knapp eine Woche lang zeichneten und malten sie beispielsweise mit Wasserfarben, Wachsmalkreiden und Filzstiften. Mehr als 40 Bilder kamen dabei zustande.
Mohnblumen in einer goldenen Schale auf grünem Hintergrund hat Jewgenij gemalt. Blumen sind überhaupt - ebenso wie Menschen - immer wiederkehrende Motive. Zwei Brüder haben jeweils einen Bibelspruch illustriert. "Mein Wunschhaus" steht unter einem anderen Bild, wieder ein anderes zeigt eine Kirche. Wiktorija Krasnopjorowa hat eine Eberesche gemalt. Eine solche hatten ihre Eltern zu ihrer Geburt gepflanzt. Ihre Mutter war an die 30 Stunden mit dem Zug unterwegs, um am 20. April bei der Ausstellungseröffnung in Leipzig dabei zu sein. Mehr als die Hälfte der Bilder wurden bereits an diesem Abend verkauft, zu dem sich rund 80 Menschen im St.-Elisabeth-Krankenhaus eingefunden hatten. Die Zeichnungen haben - je nach Größe - einen symbolischen Preis von 30 oder 75 Mark.
Schon 1992 waren zum ersten Mal Gäste aus Kiew in die Partnerstadt Leipzig gekommen. Statt der erwarteten kranken Jungen und Mädchen trafen jedoch gesunde Kinder aus einflussreichen Familien ein. Der Leipziger Oratorianerpriester Dr. Hans-Friedrich Fischer - der heute in Litauen lebt - und eine Ärztin des St.-Elisabeth-Krankenhauses ließen sich deshalb von Kiewer Medizinern eine Gruppe wirklich Bedürftiger nennen.
Als Erholungsort wurde das litauische Anyksciai gewählt, weil sich, wie Fischer erklärt, der Lebensstandard in Litauen weniger stark von dem in der Ukraine unterscheidet als der deutsche. Außerdem gebe es zwischen Litauern und Ukrainern keine Sprachbarrieren und die Anreise gestalte sich einfacher als zu einem Sanatorium in Deutschland. Hinzu kommt, dass die Kosten für einen gleich langen Aufenthalt in der Bundesrepublik erheblich höher wären. Zu den gut 20 000 Mark für die Kur in Litauen steuert die Stadt Leipzig seit 1995 einen Teil bei. Diesmal werden es laut Bürgermeister Burkhard Jung 3500 Mark sein.
Auch ein künstlerisches Projekt ist wieder geplant: Die Jungen und Mädchen aus Kiew dürfen zusammen mit Behinderten aus Vilnius eine Woche lang im dortigen Priesterseminar Theater spielen, das Fischer seit 1997 leitet.
Informationen:
Zu sehen sind die Bilder Tschernobyl-geschädigter Kinder noch bis 27. Mai täglich von 6 bis 20.30 Uhr im Foyer des Leipziger St.-Elisabeth-Krankenhauses, Biedermannstraße 84.
Karin Hammermaier
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 26.04.2001