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Bistum Erfurt

Herausfinden, wo die Grenzen liegen

In der Gentechnik stehen sich unversöhnliche Standpunkte gegenüber - Eine Diskussion in Erfurt

Konträre Auffassungen: Der Jenaer Human-Genetiker Uwe Claussen (links) und der Rechtsmediziner Hans-Bernhard Wuermeling. Vorn: Moderator Thomas S. Seidel.

Erfurt (as) -Wann der Mensch wirklich ein Mensch ist, hat Uwe Claussen "für sich noch nicht komplett zu Ende gedacht". Entscheidend dafür sei aber der Begriff der "Individualität". Claussen ist Arzt und Leiter des Instituts für Humangenetik an der Jenaer Universität. Er ist leidenschaftlicher Verfechter der so genannten Präimplantationsdiagnostik (PID), der genetischen Untersuchung von künstlich gezeugten Embryonen vor ihrer Verpflanzung in die Gebärmutter. Damit will er, wie er sagt, vor allem "menschliches Leid lindern". Mit dem thüringischen Landesbischof Christoph Kähler und dem Rechtsmediziner Hans- Bernhard Wuermeling diskutierte Claussen vergangene Woche über den "Segen und Fluch der Präimplantationsdiagnostik" -eine Veranstaltung, zu der das Katholische Forum und die Evangelische Akademie während der "Woche für das Leben"" eingeladen hatten.

Dass der Mensch "Mensch von Anfang an ist", bestreitet Claussen vehement. Schon die landläufige Vorstellung davon, was ein Embryo ist, sei missverständlich und treffe in diesem Sinne nicht zu. Erst im 64-Zellen- Stadium entwickelten sich nur zwei Zellen tatsächlich zum Menschen. Von einem menschlichen Wesen könne man bei der Verschmelzung von Ei und Samenzelle nicht sprechen, auch deswegen nicht, weil in dieser Phase, die Gene noch "überraschend deutlich" getrennt seien. "Stimmt nicht", sagt sein Kontrahent im Podium, der Rechtsmediziner Hans-Bernhard Wuermeling. Auch im frühesten Zellstadium sei das genetische Informationsmaterial bereits vollständig vorhanden. Wuermeling geht es aber auch um andere Fragen, die den Bereich der Ethik berühren. "Darf man einen Kinderwunsch in jedem Fall durchsetzen oder: Gibt es das Recht auf ein gesundes Kind?" Hier sieht Wuermeling den entscheidenden Grund für die Ablehnung der PID. Das "bedingte Zeugen" verletze die Menschenwürde. Jeder Mensch habe "von sich aus" das Recht auf Existenz. Damit steht er den Kirchen näher, obwohl er Ansätze der Diagnostik befürwortet. Landesbischof Christoph Kähler -der katholische Part fehlte im Podium -befürchtet "einen massenhaften Missbrauch" der PID. Zudem seien die Patienten mit den psychischen Folgen des Verfahrens konfrontiert -eine Erfahrung, die die Mediziner schon bei der Pränataldiagnostik gemacht haben. Kähler: "Wir müssen herausfinden, wo unsere Grenzen liegen und welche normativen Rahmenbedingungen es geben muss, die diese Grenze setzen."

So verschieden die Meinungen auf dem Podium sind, so unterschiedlich fallen sie auch im Publikum aus. Eine Erfurter Kinderärztin fordert die Erlaubnis der PID, um vor allem "furchtbare Krankheiten" auszuschließen. Ein evangelischer Geistlicher aus Meiningen befürchtet eine "Schieflage" zu Ungunsten der Menschenwürde und eine Diskriminierung der Behinderten. Schließlich hat der Zuhörer den Eindruck: Dies hier ist noch kein Dialog, sondern eine Verteidigung der eigenen Standpunkte, zumal sich die Verfechter der PID wie Claussen in das ärztliche Gespräch "nicht reinreden lassen". Der Leiter des Katholischen Forums, Hubertus Staudacher, "ersparte" sich am Ende dann auch eine Zusammenfassung. "Die Kirchen haben kein Patent auf Ethik angemeldet", so Staudacher. Deshalb sei es notwendig, über diese schwierigen Fragen zu einem echten Dialog zu kommen.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 17 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 25.04.2002

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