Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Aus der Region

Die Christen sind jetzt gefordert

Nach dem Amoklauf von Erfurt - Fragen an Dompfarrer Reinhard Hauke

Dompfarrer Hauke: Eine endgültige Antwort auf die Frage 'Warum?' werden wir erst in der Ewigkeit erhalten.

Domkapitular Dr. Reinhard Hauke ist Pfarrer der Erfurter Dompfarrei. Bekannt ist er vor allem durch seine Angebote für Nichtchristen, wie das Nächtliche Weihnachtslob oder die Lebenswendefeiern für Jugendliche. In diesen Tagen ist der Domberg - neben dem Rathaus und dem Gutenberg-Gymnasium - ein Trauerort für die Erfurter.

Herr Domkapitular, was bewegt Sie als Seelsorger in dieser Stadt?
Betroffenheit, Hilflosigkeit und Ratslosigkeit. Betroffenheit im Blick auf die Opfer. Hilfslosigkeit im Hinblick darauf, dass wir nicht wissen, wie wir so etwas in Zukunft verhindern können, denn: Die Gründe dafür, dass das möglich war, sind sehr vielfältig. Ich denke an die Lehrer in den Schulen, die diese Hilflosigkeit und Ratlosigkeit besonders spüren. Mich beschäftigt aber auch die Frage, die im Hintergrund steht: Wie können wir das Menschenbild wieder so gestalten, dass Menschen wieder soviel Achtung voreinander haben, dass eine solche Tat nicht geschehen kann.
Warum? -So heißt die meist gestellte Frage in diesen Tagen. Können Sie als Seelsorger den Menschen, die mit dieser Frage zu Ihnen kommen, eine Antwort geben?
Diese Frage ist schwierig zu beantworten, und eine endgültige Antwort werden wir sicher erst in der Ewigkeit erhalten. Wir können fragen, warum ist es möglich, dass ein Jugendlicher eine Waffe in die Hand bekommt und damit andere Menschen töten kann. Aber im Hintergrund steht ja die viel tiefere Frage: Warum lässt Gott so etwas zu? Wir werden das letztlich nicht beantworten können. Es mag in diesem Zusammenhang unpassend klingen, aber: Manchmal sind solche Ereignisse so etwas wie ein Warnschuss, um auf Missstände in unserer Gesellschaft und auch des Bildungssystems aufmerksam zu werden.
Die Kirchen haben für den 3. Mai zum Trauergottesdienst eingeladen. Was können die Kirchen den trauernden Menschen sagen?
Als Christen können wir eine Hoffnung für die Menschen verkünden, die getötet wurden. Wir können sagen: Der Tod ist für sie kein Weg ins Nichts, sondern in ein Leben hinein. Das ist die Botschaft, die uns Christen in solchen Situationen tröstet. Momentan können wir, und ganz besonders die direkt Betroffenen diese Botschaft vielleicht nur bedingt hören und verkraften. Gerade deshalb sehe ich hier eine ganz wichtige Aufgabe für die christliche Gemeinde: Sie muss die anderen stützen, die dieses Ereignis momentan noch nicht in der Weise christlicher Hoffnung deuten können.
Sie sind auch Schulseelsorger an der katholischen Edith-Stein-Schule in Erfurt. Was muss sich an den Schulen ändern?
Es muss in den Schulen eine Atmosphäre des Vertrauens herrschen. Schüler müssen merken, dass sie auch in Konfliktsituationen zu den Lehrern kommen können oder einen Seelsorger finden, der ihnen zuhören. Die Schüler brauchen jemanden, zu dem sie gehen können, weil sie das manchmal zu Hause nicht finden. Das andere ist: Die Schüler müssen -weil das häufig zu Hause auch nicht mehr passiert -lernen, wie sie einen Konflikt beheben. Auch wenn sie darüber nicht reden können -welche angemessenen Möglichkeiten der Konfliklösung gibt es noch, ohne zu solchen gewaltsamen Mitteln zu greifen, wie jetzt geschehen.

Fragen: Matthias Holluba

Aktuelle Informationen im Internet unter:
www.bistum-erfurt.de/aktuell
Unter folgenden Telefon-Nummern finden Menschen, die Seelsorge oder Krisenberatung benötigen, Hilfe:

(03 61) 6 62 25 02 oder
(08 00) 1 07 31 07.

Die Telefonseelsorge ist erreichbar unter
(08 00) 1 11 01 11.

Alle katholischen und evangelischen Seelsorgerinnen und Seelsorger in Erfurt stehen für Begleitung und Gespräch zur Verfügung.
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 18 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 02.05.2002