Die Zeit verändert das Ehrenamt
Görlitzer Caritas besteht 80 Jahre
Görlitz - Anlässlich des 80-jährigen Bestehens der Görlitzer Caritas haben das Dekanat und die Caritas-Kreisstelle der Stadt am 21. April einen Begegnungstag für Ehrenamtliche aus dem Dekanat Görlitz veranstaltet. Prälat Dieter Grande aus Dresden erläuterte den rund 40 Teilnehmern, welche Herausforderungen die gesellschaftlichen Veränderungen in der DDR sowie die Umbrüche während und nach der Wende für die ehrenamtliche Arbeit der Caritas mit sich brachten
Von Mut und Gottvertrauen, die einen Neuanfang in den Nachkriegsjahren möglich machten, sprach er und vom ungebrochenen Engagement derer, die trotz eigenen Kummers bereit waren, die Not anderer Menschen zu lindern und etwas von dem wenigen, das sie besaßen, abzugeben. Als eine erste wichtige Aufgabe der Caritas nach dem Krieg nannte Grande die Wiedereröffnung katholischer Kindergärten, die von den Nazis enteignet oder geschlossen worden waren. Die Caritas sei bei diesem Schritt fast ausschließlich auf die Hilfsbereitschaft und Fantasie der Ehrenamtlichen angewiesen gewesen. Schließlich habe niemand gewusst, wie die hungrigen Kinder satt zu bekommen seien und wo im Winter das erforderliche Heizmaterial beschafft werden könne. "Alle, die in dieser schweren Zeit den Anfang wagten", seien aber belohnt worden, so Grande, "denn nach 1948 war die Einrichtung eines kirchlichen Kindergartens nicht mehr möglich."
Grande erwähnte auch weitere Schwierigkeiten, mit denen sich die katholische Kirche in der Sowjetischen Besatzungszone und nach 1949 in der DDR auseinanderzusetzen hatte, etwa die Abwanderungen vieler Christen in die Bundesrepublik, weshalb ehrenamtlich arbeitende Gruppen immer wieder neu gestaltet werden mussten, oder die atheistischen Kampagnen der SED bis hin zu Schikanen und Verhaftungswellen.
Aufgrund der Erfahrungen während der Nazi-Diktatur sei die Caritasarbeit in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und in der DDR bewusst nicht als eigenständige Verbandsarbeit vorangetrieben, sondern als Teil der kirchlichen Verwaltung unter den Schutz der Bischöfe gestellt worden. Caritashelfer waren in der zweiten Hälfte der 40er Jahre zum Beispiel als Sammler unterwegs oder arbeiteten in Bahnhofsmissionen mit.
Der Zustrom von Vertriebenen aus den Ostgebieten habe die Helfer vor "kaum zu bewältigende Aufgaben" gestellt, sagte Grande. Von 1945 bis 1949 stieg die Zahl der Katholiken in der SBZ um knapp 160 Prozent auf gut 2,7 Millionen. Diese Menschen stammten meist aus katholisch geprägten Gegenden und seien "mit einer tatkräftigen Mitarbeit in der Caritas vertraut" gewesen. Bei der ersten Enteignung und Bodenreform bis Ende 1946 wurden auch der Caritas Schlösser und Herrenhäuser als Kinder- oder Altenheime zur Verfügung gestellt.
Erschwerend für die Arbeit der Caritashelfergruppen und Pfarrgemeinden wirkte sich die ansteigende Fluchtwelle in den 50er Jahren aus. Einerseits mussten nach dem Krieg gegründete Außenstationen wieder aufgegeben, andererseits ständig neue Helfer gesucht werden. Die Ehrenamtlichen, oft selbst ältere Menschen, kümmerten sich nun verstärkt um die Senioren, da meist junge Leute in den Westen gingen und die Eltern allein zurückblieben. Nach der großen Verhaftungswelle 1961/62 half die Caritas Häftlingen, die Straferlass bekamen, bei ihrer Wiedereingliederung.
Die schwierige finanzielle Lage der Kirchen nach dem Mauerbau, die ideologischen Angriffe gegen katholische Jugendliche in den 50er Jahren, die Ungleichbehandlung bekennender Christen und die Nichtanerkennung katholischer Berufsabschlüsse durch den Staat taten der karitativen Bewegung aus Grandes Sicht keinen Abbruch. Die Caritas kümmerte sich in den 60er Jahren verstärkt um geistig behinderte Kinder und Jugendliche. Beispielsweise wurde eine "offene Arbeit" für die Eltern dieser Kinder aufgebaut.
Ein prägendes Ereignis für die Kirche in der DDR war Grande zufolge die Pastoralsynode von 1973 bis 1975. Sie habe auch die Caritasarbeit unmittelbar betroffen. Durch die Schaffung einer "Sachgruppe Diakonie" sei geplant gewesen, die Arbeit der karitativ tätigen Gruppen besser zu koordinieren. Der Mangel an Helfern und die Abneigung vieler Pfarrer, einen Einblick in die Caritaskasse zu gewähren, hätten diesen Beschluss aber ins Leere laufen lassen. Damit sei die Chance für eine Aufwertung des Ehrenamtes der Caritas verpasst worden.
Auch auf die Zeit des politischen Umbruchs und die Jahre danach ging Grande ein. Mit der deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 und der fast gleichzeitig gebildeten gemeinsamen Deutschen Bischofskonferenz waren die Wege geebnet, um die Einrichtungen der Caritas allmählich auf ihren heutigen Stand zu bringen. Das geschah aber trotz der verbesserten Gegebenheiten nicht ohne Probleme: Auf die eigenständigen Caritasverbände, die sich nach der Wende in der ehemaligen DDR wieder bildeten, nahm der Druck zu, ehemals staatliche Einrichtungen in ihre Trägerschaft zu übernehmen. Umfangreiche Beratungs- und Hilfsdienste wurden für neu entstandene Nöte aufgebaut, beispielsweise Schwangerschafts- und Schuldnerberatungen, Dienste für Flüchtlinge und Asylbewerber sowie Hilfen für Arbeitslose.
Nach der Einführung der Pflegeversicherung sei der "Ruf nach dem Ehrenamt" wieder verstärkt laut geworden, sagte Grande. Dienste, die vorher das Pflegepersonal geleistet habe, beispielsweise das Vorlesen am Krankenbett, sollten jetzt freiwillige Helfer übernehmen.
In jedem Fall müsse ein Ehrenamt "auch Spaß machen", kamen die Caritashelfer bei der bei der anschließenden Diskussion überein. Jeder Ehrenamtliche müsse frei über die From und den Aufwand seiner Hilfe entscheiden können. Die bestehenden Helfergruppen sollten andere motivieren, selbst aktiv zu werden - unter Umständen nur für kurze Zeit.
Die Hauptamtlichen müssten lernen, Aufgaben für freiwillige Helfer zu schaffen und sie in kleinen Portionen zu verteilen. So genannte "Freiwilligenzentren", die in einigen Städten bereits als Anlauf- und Koordinierungsstelle für potenzielle Ehrenamtliche zur Verfügung stehen, seien dabei ein wichtiger Ansatzpunkt.
Susan Ehrlich/tdh
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 26.04.2001