Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Auf zwei Minuten

Wo ist Freiheit wirklich ?

Innere Freiheit ist ein Geschenk und hat nichts mit dem vermeintlich "freien Leben" zu tun

Pater Damian

Ein Mann hämmerte mit den Fäusten ans Eingangstor des Gefängnisgebäudes. Als sich die Tür öffnete, drängte er hinein. Der Uniformierte, der ihn auf die Straße zurückschob, wunderte sich. "Sind Sie nicht der", fragte er, "der heute morgen, nach acht Jahren Knast, entlassen worden ist?" "Ich will wieder rein", sagte der Mann. "Wie?", rief der Uniformierte verblüfft. "Haben Sie sich denn nicht acht Jahre lang nach der Freiheit gesehnt?" "Ich Trottel", sagte der Mann. "Die Freiheit hatte ich hier drin!" (Gudrun Pausewang).

Beim ersten Lesen fand ich diese Geschichte absurd. Ich würde sie auch unmöglich den Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt erzählen können. Sie würden nur höhnisch lachen über so eine seltsame Reaktion des Mannes. Man könnte sich noch vorstellen: Er ist nach den langen Jahren im Knast lebensuntüchtig geworden, kann sich einfach nicht an die Freiheit gewöhnen, scheut die vielen Entscheidungen und die Verantwortung. So flüchtet er zurück in die seine kleine, überschaubare Welt, wo ihm die meisten Entscheidungen abgenommen werden und er -wenn auch in sehr bescheidenem Maße versorgt war.

Vielleicht hat die Geschichte aber einen tieferen Sinn? Ich frage mich: Sprechen der entlassene Gefangene und der Justizbeamte nicht von verschiedenen Begriffen der Freiheit? Der Beamte denkt an das alltägliche Verständnis von Freiheit: Bewegungsmöglichkeiten, Kontaktaufnahmen, Wahlmöglichkeiten aller Art, beispielsweise beim Einkaufen im Supermarkt, Freizeitgestaltung und so weiter. Es sind äußere Bedingungen für ein Leben in Freiheit.

Der Gefangene aber -ein Glücksfall -muss während seiner Haftzeit eine andere, tiefere Dimension von Freiheit erfahren haben: Er ist mit sich und seiner Lebensgeschichte, seiner Vergangenheit und Schuld ins Reine gekommen, nimmt sich an, wie er ist. Er hat es aufgegeben, sich etwas vorzumachen und sich selbst zu betrügen: Die Wahrheit hat ihn frei gemacht (vgl. Joh 8.32). Er hat erkannt, was letztlich entscheidend und sinnvoll im Leben ist. Seine Werteskala ist neu aufgestellt worden. Er ist auch von Bindungen frei geworden, die sein Leben früher bestimmt haben: Streben nach Macht und Einfluss, unkontrollierte Konsumgewohnheiten, starke Bindung an die Vorgaben der öffentlichen Meinung und seiner Umgebung.

Warum aber will er so schnell in den Knast zurück? Vielleicht ist er noch nicht fähig, nicht stark genug, das vermeintlich "freie Leben" draußen zu ertragen und seine in der Gefangenschaft erworbene oder geschenkte innere Freiheit unter den gesellschaftlichen Bedingungen zu leben? Die innere Freiheit ist für ihn ein kostbarer Schatz, den er nicht mehr verlieren möchte.

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 18 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 02.05.2002

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps