"Siehe, deine Mutter"
von Pater Damian
Auf der vor kurzem eröffneten Bundesgartenschau in Potsdam haben die Kirchen ihr umfangreiches Programm unten den Titel "Brüc- ken zum Paradies" gestellt. Sie hoffen, "dass die Menschen sich von der Freude über Gottes Schöpfung anstecken lassen und zu einer Lebensbejahung finden, die im Glauben liegt." Brücke zum Paradies, das heißt zum vollendeten Glück, ist nicht nur die im Mai herrlich aufblühende Natur; Brücken sind vor allem vorbildliche Menschen, die Heiligen der Kirche, vor allem Maria. Die Brücke, die Gott und Mensch verbindet, ist Jesus Christus: "Einer ist Gott, einer auch Mittler zwischen Gott und den Menschen: der Mensch Christus Jesus, der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle" (1 Tim 2,5-6). Neben Christus steht seine Mutter. Das II. Vatikanische Konzil sagt: "Marias mütterliche Aufgabe gegenüber den Menschen aber verdunkelt oder vermindert diese einzige Mittlerschaft Christi in keiner Weise, sondern zeigt ihre Wirkkraft. Jeglicher heilsame Einfluss der seligen Jungfrau Maria auf die Menschen kommt nämlich nicht aus irgend einer Notwendigkeit, sondern aus dem Wohlgefallen Gottes und fließt aus dem Überfluss der Verdienste Christi, stützt sich auf seine Mittlerschaft, hängt von ihr vollständig ab und schöpft aus ihr seine ganze Wirkkraft. Die unmittelbare Vereinigung der Glaubenden mit Christus wird dadurch aber in keiner Weise gehindert, sondern vielmehr gefördert ... Die selige Jungfrau ist aber durch das Geschenk und die Aufgabe der göttlichen Mutterschaft, durch die sie mit ihrem Sohn und Erlöser vereint ist, und durch ihre einzigartigen Gnaden und Gaben auch mit der Kirche auf das innigste verbunden." (LG 60 u.63). In der Lauretanischen Litanei wird Maria angerufen als Morgenstern. Sie wird in einem weiteren Bild als Morgenröte dargestellt: Wie die Morgenröte ihr Licht von der Sonne hat und ihr vorausgeht, so geht sie Christus voraus, der Sonne der Gerechtigkeit, und leuchtet in seinem Licht.
Im Monat Mai kommt uns die Schönheit der Schöpfung, in der "das Blühen kein Ende nimmt", besonders zum Bewusstsein. Das schönste Geschöpf Gottes aber ist Maria. Gott will uns sozusagen einen Menschen vorstellen, von dem er sagt: Ja, so habe ich mir den Menschen gedacht: ganz offen und empfänglich für mein Wort, mitwirkend an meinem Werk der Liebe an den Menschen, "voll der Gnade".
Wie niemand vor und nach ihr ist Maria den Weg Jesu und den Weg des Glaubens gegangen. Darin liegt auch ihre Seligkeit und Vollendung und ihr Beispiel für uns. Sie ist mehr als Beispiel, sie ist auch "Brücke zum anderen Ufer". Der im Februar 1945 hingerichtete Jesuit Alfred Delp schreibt im Angesicht des Todes: "Was nützen uns Ahnung und Erlebnis unserer Not, wenn keine Brücke geschlagen wird zum anderen Ufer, wenn wir nicht zugleich von der Gnade erfahren, die mächtiger ist als die Gefährdung und als die Verlorenheit? Es haben die Dichter und Mythenerfinder und sonstige Geschichten- und Märchenerzähler der Menschheit immer wieder von den Müttern geredet. Sie haben einmal die Erde gemeint, ein andermal die Natur ... In alldem lag und liegt Hunger und Ahnung und Sehnsucht und ein adventliches Warten auf diese gesegnete Frau. Dass Gott einer Mutter Sohn wurde, dass eine Frau über die Erde gehen durfte, deren Schoß geweiht war zum heiligen Tempel und Tabernakel Gottes - das ist eigentlich die Vollendung der Erde und die Erfüllung ihrer Erwartungen.
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 26.04.2001