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"Dann wärst du nicht geboren worden"

"Woche für das Leben": PDS-Abgeordneter Seifert wandte sich gegen die Präimplantationsdiagnostik

Atheist Seifert: 'Wenn der Bischof und ich Partner werden, dann fällt das beiden erst mal schwer.'

Görlitz - "Vielleicht sind Sie doch kein Atheist", murmelt eine Frau im Publikum, nachdem sich der PDS-Bundestagsabgeordnete Ilja Seifert "schon wieder", wie er sagt, "in biblischen Worten" ausgedrückt hat: "Wenn wir feststellen, dass wir uns auf einem Irrweg befinden", so der 51- jährige Politiker, "haben wir das Recht und die Pflicht umzukehren." Seifert greift mit der linken Hand an das Rad seines Rollstuhls, lächelt und meint, dass in Fragen nach dem Wert und der Würde des vorgeburtlichen menschlichen Lebens politische Freunde plötzlich zu Gegnern und Gegner zu Freunden werden: "Wenn der Bischof und ich Partner werden, dann fällt das beiden erst mal schwer."

Der bekennende Atheist Seifert, der Mitglied in der Enquete- Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin ist, hatte am 2. Mai fast ein Heimspiel im "Treffpunkt Gleis 1" am Görlitzer Bahnhof. Eingeladen war er im Rahmen der "Woche für das Leben", die von der evangelischen und katholischen Kirche gemeinsam veranstaltet wird. Wenn sich seine Ansichten zur Abtreibung nicht weitgehend von denen der rund 40 zumeist christlich geprägten Zuhörer unterschieden hätten, so hätte man ihn fast für einen Kirchenmann halten können.

"Es geht uns nicht um Parteien und Koalitionen, sondern um eine besondere Perspektive", hatte der Provinzialpfarrer für Diakonie und Gemeindeaufbau der Evangelischen Kirche der schlesischen Oberlausitz, Hans- Wilhelm Pietz, das Anliegen der Organisatoren zusammengefasst. Im Vorfeld war es zu einigen Irritationen und Protesten gekommen: Ein PDS-Politiker auf einer kirchlichen Veranstaltung -das war für viele Christen aus ideologisch-politischen und religiösen Gründen nicht nachvollziehbar.

Menschenwürde ist nicht abstufbar

"Die Fronten in der Frage nach dem Wert des Lebens verlaufen aber nicht zwischen Kirchen und Weltanschauungen", betont Seifert, der infolge eines Badeunfalls seit 1967 querschnittsgelähmt ist und sich in deutschen und europäischen Behindertenverbänden engagiert. Entscheidend sei vielmehr, ob jemand ein Leben für mehr oder weniger wert halte als ein anderes. Für Seifert gibt es nur einen Standpunkt: "Ein Konzept der abgestuften Menschenwürde kann ich nicht akzeptieren", erklärt er und verweist auf die deutsche Geschichte: "Was einmal möglich war, ist immer wieder möglich." Die Nationalsozialisten hätten Menschen nach ihrem Wert und Unwert selektiert, und es sei eben nicht auszuschließen, dass sich so etwas wiederhole. Also ist Seifert ein entschiedener Gegner der Präimplantationsdiagnostik (PID).

Bei diesem Verfahren wird ein außerhalb des Mutterleibes gezeugter Embryo daraufhin getestet, ob eine befürchtete Schädigung vorliegt. Wird sie festgestellt, dann wird der Embryo vernichtet. Eine Übertragung in den Mutterleib wird nur bei genetisch "nicht vorbelasteten" Embryonen vorgenommen. "Durch PID werden nicht die Krankheiten verhindert, sondern die Kranken", sagt Seifert und fügt fast beschwörend hinzu: "Diese Menschen finden nicht mehr statt." Auch gegen Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen und deren Import aus dem Ausland spricht sich Seifert vehement aus. "Wir müssen verhindern, dass auf unanständige, brutale und menschenverachtende Weise Erkenntnisse gewonnen werden", sagt er und verweist wieder auf die Nationalsozialisten: KZ-Ärzte wie Mengele quälten Menschen, um so an Erkenntnisse über Krankheiten zu gelangen. Die medizinischen Lehrbücher seien lange "voll mit KZ-Wissen" gewesen. Gewiss könne man vielleicht mit den Erkenntnissen über das Funktionieren von Stammzellen irgendwann einige bisher unheilbare Krankheiten therapieren. Aber: Embryonale Stammzellen würden nur gewonnen, wenn Embryonen vernichtet werden. Und wie solle man mit den so genannten "überzähligen" Embryonen umgehen? Seifert sieht sich wieder einig mit Bibel und Kirche: "Es gibt keine überzähligen Menschen, jeder ist einmalig." Er sei zwar nicht bibelfest, aber das stehe ja schon in der Schöpfungsgeschichte. So lautet sein Fazit: "Ein Embryo hat keine Mutter, sondern irgendwelche genetische Eltern. Über sein Leben verfügen Dritte: Ärzte, Kommissionen, Ethikräte. Und deshalb ist ein absoluter Schutz des Embryos notwendig."

Immer wieder hält der studierte Literaturgeschichtler und einfühlsame Lyriker eine Art Dialog mit sich selbst oder erzählt von Begegnungen, um seine Ansichten zu veranschaulichen. Eine Geschichte geht so: "Wollen Sie allen Ernstes vielen chronisch Kranken die Hoffnung nehmen, dass sie geheilt werden oder zumindest Linderung erfahren?", wurde Seifert von einem jungen Mann gefragt, der an einer Erbkrankheit litt. Seine Antwort: "Du lebst mit deiner Krankheit seit 35 Jahren. Was meinst du, was geschehen wäre, wenn es damals schon PID gegeben hätte? Dann wärst du nicht geboren worden."

Uwe von Seltmann

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 19 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 07.05.2002

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