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Bistum Magdeburg

Die Wende ist nicht vom Himmel gefallen

Vor 25 Jahren verfassten katholische und evangelische Christen das "Querfurter Papier"

Querfurt - Mit der Enthüllung einer Gedenktafel an der katholischen Kirche in Querfurt haben die Landeszentrale für politische Bildung und die Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Sachsen-Anhalt ihr Projekt "Orte der Zivilcourage" gestartet. Das Projekt solle auf Widerstandsbewegungen in der DDR aufmerksam machen, sagte Stasi- Landesbeauftragte Edda Ahrberg. Die erste Gedenktafel erinnert an das so genannte "Querfurter Papier". Der dreiseitige Brief, der vor 25 Jahren von katholischen und evangelischen Geistlichen geschrieben und an die Mitarbeiter beider Kirche gerichtet war, stand auch im Mittelpunkt einer Tagung in Querfurt. Unter dem Titel "Friede und Gerechtigkeit heute" diskutierten Wissenschaftler, Zeitzeugen und Interessierte über die Ereignisse von damals und ihre Bedeutung für heute. Die Beteiligten würdigten dabei das weitgehend unbekannt gebliebene Papier als einen frühen, wenn auch kleinen Beitrag auf dem Weg zu den politischen Veränderungen von 1989.

Dieter Tautz, katholischer Pfarrer in Eisleben und Mitinitiator des Papiers, verglich die Wende mit einem "großen Fluss". "Unser Papier ist ein kleines Rinnsal, das in diesen Fluss mündet". Auch der katholische Propst von Dessau, Gerhard Nachtwei , würdigte es in diesem Sinne: "Die Wende ist nicht vom Himmel gefallen. Sie hatte Vorläufer."

Das Querfurter Papier sei in einer Zeit entstanden, die das Anfang vom Ende der DDR darstelle, sagte der Historiker Hermann- Josef Rupieper (Halle). Die deutlichen Hoffnungen auf politische Veränderungen im Zusammenhang mit dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker seien spätestens mit der Ausbürgerung Wolf Biermanns beendet gewesen. Wenig später, am 29. April 1977 wurde das Querfurter Papier unterzeichnet. Unter Berufung auf den christlichen Versöhnungsauftrag forderte es die Kirchen auf, ihre Ansichten zur Friedensfrage, zum Menschenbild und zur weltweiten Gerechtigkeit politisch zu artikulieren. Hartmut Scheurich (Eisleben), damals als evangelischer Pfarrer an der Entstehung des Papiers beteiligt: "Wir wollten mit diesem Anliegen in die Öffentlichkeit und haben dabei auf das schützende Dach der Kirche vertraut. Wir hatten die Hoffnung, dass unser Dokument in eine gemeinsame Erklärung der katholischen und evangelischen Bischöfe aufgenommen wird."

Daraus wurde nichts. "Bitte mischt ihr euch von unten nicht in unsere Kirchenpolitik ein." So habe er die erste Reaktion beider Bischöfe verstanden, erinnert sich Dieter Tautz. Der damalige katholische Bischof Johannes Braun habe das auch deutlich in zwei Briefen artikuliert. Er denke nicht daran, sein gutes Verhältnis zu staatlichen Stellen stören zu lassen, habe er geschrieben. Und Tautz selbst sei aufgefordert worden, sich auf seine Funktion als Seelsorger zu beschränken. Allerdings seien die Themen des Querfurter Papiers in Hirtenbriefen der katholischen Bischöfe aufgegriffen worden. Ein direkter Zusammenhang lasse sich allerdings nicht verfolgen. Tautz erinnerte auch daran, dass Braun 1989 als erster katholischer Bischof in der DDR in der Wendezeit deutlich Position bezogen habe.

Die Reaktion der evangelischen Kirchenleitung beschrieb der damals dort tätige Harald Schultze (Magdeburg) als "grundsätzliche Solidarisierung und vorsichtige Distanzierung" durch Bischof Werner Krusche. Er habe gegenüber den staatlichen Stellen das Recht der Verfasser verteidigt, sich in dieser Weise zu artikulieren, sich zugleich aber gegen jede Veröffentlichung ausgesprochen. Zum Verständnis verwies Schultze auf die damals herrschende unklare kirchenpolitische Situation in der DDR, zu der besonders die Selbstverbrennung des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz geführt hatte. Die Regelungen zum Verhältnis zwischen der evangelischen Kirche und dem DDR-Staat vom 6. März 1978 seien noch nicht absehbar gewesen. Um der Gefahr entgegenzuwirken, als "Schaltstelle der Konterrevolution" angesehen zu werden, galt es für die evangelischen Kirche einen eigenständigen Weg "zwischen der Rolle als Oppositionspartei oder der eines Transmissionsriemens der Partei" zu finden -in der Hoffnung auf allmählich Veränderungen nach dem Motto "Steter Tropfen höhlt den Stein".

Diesem von der "Hoffnung auf einen verbesserlichen Sozialismus" gekennzeichneten reformatorischen Ansatz im Umgang mit dem DDR-Staat stellte der evangelische Theologe Ehrhart Neubert (Berlin) einen revolutionären Ansatz gegenüber. Dieser sei vor allem durch die Frage nach den Menschenrechten geprägt und habe sich nach der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte von Helsinki im gesamten Ostblock ausgebildet. Der "bedeutendste und klarste Text" sei die Charta '77. In diesen Zusammenhang gehöre aber auch das "Querfurter Papier". Bei den Veränderungen von 1989/90 habe sich letztlich der Menschenrechts- Ansatz durchgesetzt. Der Kritik Neuberts hielt Schultze allerdings entgegen, dass auch der Reformflügel Entscheidendes vorangebracht habe.

Matthias Holluba

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 19 des 52. Jahrgangs (im Jahr 2002).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 07.05.2002

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